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Corona-Zahlen: Wie bedrohlich ist die Lage in Westeuropa?

Frankreich, Italien, Dänemark - um uns herum scheint sich die Corona-Lage zuzuspitzen. Bedrohliche Werte an Neuinfektionen werden gemeldet. Wie lange kann die Situation in Deutschland noch vergleichsweise ruhig bleiben?

Schulbeginn in Spanien
Lehrer machen mit Klebeband Markierungen auf einem Schulhof in Madrid, um den Sicherheitsabstand zwischen den Schülern zu gewährleisten. Foto: Bernat Armangue/AP/dpa
Lehrer machen mit Klebeband Markierungen auf einem Schulhof in Madrid, um den Sicherheitsabstand zwischen den Schülern zu gewährleisten. Foto: Bernat Armangue/AP/dpa

PARIS/MADRID/ROM. In Madrid spitzt sich die Corona-Lage zu, Frankreich kämpft mit einem rasanten Anstieg der Fallzahlen und auch in Italien gibt es so viele Neuinfektionen wie seit Monaten nicht mehr.

Zu beachten ist dabei aber ebenso wie bei der Beurteilung der Situation in Deutschland, dass die Zahl der Tests enorm zugenommen hat und die Altersverteilung eine andere ist. Was bedeuten die Werte - und wie lange bleibt Deutschland noch relativ verschont?

Eine Prognose, bis zu welcher Grenze sich die Zahl der Corona-Neuinfektionen hierzulande noch kontrollieren lässt und wann eine massenhafte Ausbreitung beginnt, ist dem Berliner Virologen Christian Drosten zufolge kaum möglich. »Das ist ganz schwer einzuschätzen, ab wann das passiert«, hatte er kürzlich im NDR-Podcast gesagt. Klar sei, dass es zu einem schlagartigen Effekt, einem Schwelleneffekt kommen könne.

Von Land zu Land beeinflussten Faktoren wie die mittlere Familiengröße und die Mobilität der Bevölkerung das Geschehen aber unterschiedlich. »Und darum kann ich jetzt nicht sagen: Hier ist der Schwellenwert.« In Frankreich zum Beispiel sei diese Grenze womöglich überschritten. Doch warum dort und nicht in Deutschland? Denkbar sei, dass das Infektionsgeschehen hierzulande über den Sommer auf ein niedrigeres Grundlevel gedrückt worden sei, so Drosten.

Derzeit kommen in Frankreich mit seinen rund 67 Millionen Einwohnern täglich etwa 6000 Neuinfektionen hinzu. Das bisherige Maximum war Ende März mit rund 7500 neu erfassten Fällen binnen eines Tages vermeldet worden. Allerdings ist wie in vielen Ländern auch die Zahl der Tests immens gestiegen: Wurden Ende Mai binnen einer Woche noch weniger als 40.000 Menschen getestet, waren es in der Woche vom 24. bis 30. August mehr als 850.000. Die Rate positiver Tests lag zuletzt bei gut vier Prozent.

Wie in anderen Ländern Europas stecken sich derzeit auch in Frankreich verstärkt junge Erwachsene mit Sars-CoV-2 an, nach Behördenangaben hauptsächlich bei Feiern und Urlaubsreisen. Daher ist die Zahl der im Krankenhaus behandelten Patienten vergleichsweise gering: Stand Montag waren 4907 Menschen wegen Covid-19 im Krankenhaus, davon 537 auf einer Intensivstation. Als Risikogebiete gelten momentan vor allem der Großraum Île-de-France mit der Hauptstadt Paris und die Region Côte d’Azur.

In Spanien mit seinen knapp 47 Millionen Einwohnern bereitet vor allem die Situation in der Region Madrid Sorgen. Seit Ende Juni steigt die Zahl der landesweiten Neuinfektionen wieder an, Anfang des Monats wurden mehr als 4500 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet. Das bisherige Maximum lag bei 9222 Fällen am 31. März. Spanien macht zurzeit nach Angaben des Gesundheitsministeriums knapp 50.000 PCR-Tests pro Tag, Ende März waren es etwa 200.000 pro Woche.

In Italien verzeichnen derzeit Kampanien, das Latium mit der Hauptstadt Rom und die Emilia-Romagna die meisten Neuinfektionen. Neben Einschleppungen aus dem Ausland spielen dem Gesundheitsministerium zufolge Freizeitaktivitäten und die gestiegene Mobilität vor allem von jüngeren Menschen eine Rolle.

In dem Land mit gut 60 Millionen Einwohnern wurden zuletzt im Mittel wieder rund 1300 Neuinfektionen täglich gemeldet. Der bislang höchste Wert lag bei 6557 registrierten Fällen am 21. März. Auch hier stieg die Zahl der Tests stark: von rund 195.600 in der Woche vom 23. bis 29. März - in dieser Woche gab es den größten Anstieg an Neuinfektionen in Italien - auf inzwischen etwa 633.000 (31. August bis 6. September). Rund 1,5 Prozent fallen derzeit positiv aus - zum Zeitpunkt des Maximums im Frühjahr waren es fast 20 Prozent.

Das Durchschnittsalter der erfassten Infizierten lag in Italien zuletzt bei 32 Jahren (24. bis 30. August). Am 24. März hatte es bei 63 Jahren gelegen. Stand Montag wurden lediglich 1719 Infizierte im Krankenhaus behandelt, 142 auf der Intensivstation. Im März (Stichtag 21.3.) lagen 17.708 Menschen mit Corona-Symptomen im Krankenhaus - fast die Hälfte der bekannten Infizierten zum damaligen Zeitpunkt. 2857 wurden auf der Intensivstation behandelt.

Auch in nordeuropäischen Ländern wie Dänemark und Norwegen ist die Zahl der Neuinfizierten in den letzten Tagen sprunghaft gestiegen. Schwerer einzuschätzen ist die Lage in Polen mit seinen rund 38 Millionen Einwohnern. Am vergangenen Freitag lag die Zahl der registrierten Neuinfektionen dort bei rund 690. Im Frühjahr hatte der Höchstwert am 19. April bei 545 gemeldeten Fällen binnen eines Tages gelegen. Die Zahl der Tests verdoppelte sich seither auf gut 22.000. Zur Positivrate sowie zum Durchschnittsalter der Infizierten gibt es keine Informationen der polnischen Behörden.

Die insgesamt höchsten Fallzahlen hat die Region Schlesien, wo sich der Erreger vor allem unter Bergarbeitern schnell ausbreitete. Neuerdings häufen sich die Fälle in der Woiwodschaft Masowien um die Hauptstadt Warschau sowie in Kleinpolen im Süden des Landes. Als Gründe nannte das Gesundheitsministerium unter anderem große Hochzeitsfeiern sowie Ansteckungen am Arbeitsplatz. Auch in Polen ist die Zahl der Covid-19-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden, derzeit vergleichsweise gering.

Das allerdings kann sich in jedem der Länder - auch in Deutschland - rasch ändern. »Was jetzt bei jüngeren Menschen passiert, wird in wenigen Wochen bei älteren Menschen passieren«, hatte Anders Johansson, Experte für Infektionskrankheiten an der Universität Umeå in Schweden, kürzlich gewarnt. Auch das Robert Koch-Institut (RKI) mahnt in seinen Lageberichten, dass verhindert werden müsse, dass wie zu Beginn der Pandemie wieder vermehrt ältere und besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen erkranken. (dpa)