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Wirtschaft: Deutschland muss schneller und besser werden

Nach mehr als einem Jahr Ampel-Koalition haben Spitzenverbände der Wirtschaft eine klare Erwartungshaltung: Es müssten Bremsen gelöst werden.

Rainer Dulger
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Wirtschaftsverbände sehen einen großen Reformbedarf in Deutschland. Foto: Bernd Weißbrod
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Wirtschaftsverbände sehen einen großen Reformbedarf in Deutschland.
Foto: Bernd Weißbrod

Wirtschaftsverbände sehen einen großen Reformbedarf in Deutschland. »Wir müssen schneller werden, wir müssen besser werden«, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger der Deutschen Presse-Agentur: »Wir sind überreguliert, wir sind zu langsam. Wir sind Erkenntnisriesen, aber Handlungszwerge. Das ist im Moment unser Problem. Wir müssen da entschlossen dran gehen.«

Genehmigungsprozesse müssten beschleunigt werden, die Wirtschaft brauche eine Bürokratiebremse und keine neuen Belastungen. Aus Sicht von Industriepräsident Siegfried Russwurm muss Deutschland »raus aus dem Krisenmodus und rein in den Gestaltungsmodus«.

Nach Meinung des Präsidenten des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, muss Deutschland »moderner, digitaler, flexibler und schneller werden - in der täglichen Arbeit, in der Infrastruktur oder auch bei der Umsetzung von Investitionsvorhaben.« Die Regierung lege im Moment eine relativ starke Regelungswut an den Tag, Bürokratieabbau müsse Priorität haben.

Warnung vor Deregulierung

DGB-Chefin Yasmin Fahimi hat nach eigenem Bekunden »überhaupt nichts gegen Entbürokratisierung«, wo es Entlastung schaffe: »Das darf aber nicht das Tor öffnen für eine allgemeine Deregulierung. Wenn man als Unternehmer weniger gesetzliche Vorgaben und Verordnungen will, dann ist es das Beste, in eigener Verantwortung dafür zu sorgen, dass sie gar nicht erst notwendig werden.«

Aus Sicht von Dulger ist die Lage ähnlich wie im Fußball: »Die Erwartungen sind riesengroß, wenn die deutsche Mannschaft auf den Platz geht. Doch was abgeliefert wird, reicht nicht.« Es gebe Herausforderungen, die vergleichbar seien mit der Wiedervereinigung. »Damals gab es aber einen umfassenden Reformprozess mit einer klaren Stoßrichtung.« Heute sei die Lage wesentlich unstrukturierter. »Wir haben eine deutliche Schräglage in der Diskussion. Es geht zu viel darum, wie Geld verteilt wird. Und zu wenig darum, wovon wir eigentlich leben wollen. Die Antworten der Politik reichen nicht. Wir brauchen eine neue Agenda Deutschland 5.0.«

Geliefert, was nicht gebraucht wird

Die Bundesregierung müsse ihr Versprechen einhalten und Bremsen lösen für die Wirtschaft. Das versprochene Belastungsmoratorium finde in weiten Teilen nicht statt, kritisierte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. »Es wird genau das Gegenteil von dem geliefert, was wir eigentlich bräuchten.« Weil ab 2025 die Babyboomer in Rente gehen, wird es Dulger zufolge zu einem Wohlstandsverlust kommen. »Wir werden ohne Zuwanderung und ohne steigende Erwerbsquote im Wohlstandswettbewerb zurückfallen.« Dadurch gingen auch Beiträge und Steuern verloren. »Und die Demografie ist nicht verhandelbar. Das wird so kommen, wenn wir nicht gegensteuern.«

Der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Holger Schwannecke, forderte, über die Sozialsysteme nicht nur nachzudenken, sondern zu handeln. »Die Finanzierung der Sozialsysteme ist aktuell vor allem an den Faktor Arbeit gekoppelt.« Das belaste Handwerksbetriebe in besonderer Weise angesichts eines Personalkostenanteils von teils bis zu 80 Prozent. Das werde sicher eine schwierige gesellschaftspolitische Diskussion, sagte Schwannecke. Am Ende müssten aber Generationengerechtigkeit und Zukunftssicherheit dieser Systeme gewährleistet seien, Betrieben Luft zum Atmen bleiben und den Beschäftigten mehr Netto vom Brutto.

Für Russwurm geht es um einen handhabbaren Plan für die Zukunft, vor allem die Dekarbonisierung der Wirtschaft. Er stehe zum Ausbau erneuerbarer Energien, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie: »Aber wir kommen mit den Stromleitungen nicht weiter. Wir kommen mit den Backup-Kraftwerken nicht weiter. Es gibt keinen nennenswerten Stromspeicher.« Wolle die Ampel eine echte Fortschrittskoalition sein, müsse sie umgehend Reformen einleiten vor allem für Investitionen und Innovationen - etwa in die künftige Energiewirtschaft und so für Klimaschutz. Deutschland brauche den »Umsetzungsturbo«, um die Klimaziele 2030 und 2045 zu erreichen.

© dpa-infocom, dpa:230104-99-99951/3