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Wirecard: Braun lieferte Marsalek Vorwand für die Flucht

Im Wirecard-Prozess sind der frühere Vorstandschef Braun und der Kronzeuge der Anklage Gegner - doch eines haben sie gemeinsam: Beide stellten sich freiwillig der Justiz.

Wirecard-Prozess
Der früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun wird von einem Justizbeamten in den Gerichtssaal begleitet. Foto: Peter Kneffel/DPA
Der früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun wird von einem Justizbeamten in den Gerichtssaal begleitet.
Foto: Peter Kneffel/DPA

Kurz vor dem Kollaps des Skandalkonzerns Wirecard hat Ex-Vorstandschef Markus Braun dem mutmaßlichen Hauptverdächtigen Jan Marsalek den passenden Vorwand für die Flucht ins Ausland geliefert. Die frühere Produktvorständin Susanne Steidl schilderte als Zeugin im Münchner Wirecard-Prozess die dramatischen Tage im Juni 2020, als klar wurde, dass 1,9 Milliarden Euro angeblich auf den Philippinen verbuchter Firmengelder unauffindbar waren.

Steidl zufolge wurde sowohl ihr selbst als auch Finanzvorstand Alexander von Knoop erst damals der Ernst der Lage klar. Die 1,9 Milliarden waren angeblich auf philippinischen Treuhandkonten verbucht. Die dortige Bank informierte jedoch den Konzern, dass die Unterschriften unter den Verträgen gefälscht waren.

Der Finanzvorstand sei dann in ihr Büro gekommen, berichtete Steidl. »Susanne, guck mal, wir haben ein Problem«, habe von Knoop gesagt. »Ab dem Moment war Krise«, erinnerte sich die Managerin weiter. Im Wirecard-Vorstand zuständig für Asien war Marsalek. Vorstandschef Braun habe dann gesagt: »Jan, Du musst in die Philippinen fliegen.« Dort sollte Marsalek das Problem demnach persönlich klären. Aus Steidls Aussage lässt sich nicht ableiten, dass Braun Marsalek bewusst einen Fluchtvorwand lieferte - dazu sagte sie nichts.

Statt auf die Philippinen nach Russland

Am 18. Juni 2020 wurde Marsalek suspendiert. »Er hat sich dann von mir verabschiedet, er fliegt in die Philippinen und wir sehen uns in zwei Wochen«, sagte Steidl. Doch reiste Marsalek dort nie ein. Stattdessen soll sich der Manager über Belarus nach Russland abgesetzt haben, er wird per Haftbefehl gesucht. Braun hingegen stellte sich der Justiz, ebenso der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Beide sitzen nunmehr seit drei Jahren in Untersuchungshaft.

An viele andere Vorgänge in der Wirecard-Chefetage konnte Steidl sich im Laufe ihrer sehr langwierigen zweitägigen Zeugenvernehmung gar nicht oder nur vage erinnern. Doch wurde deutlich, wie hart der Zusammenbruch des Unternehmens die Managerin traf: »Ich musste mein Leben neu aufbauen«, sagte sie schluchzend. »Es ist nicht so, dass ich mich nicht erinnern möchte. Ich kann mich nicht erinnern.«

Laut Staatsanwaltschaft erdichtete eine Betrügerbande bei Wirecard unter maßgeblicher Beteiligung Brauns und Marsaleks Scheingeschäfte in Milliardenhöhe. Den Schaden für die Kreditgeber des Konzerns beziffern die Ermittler auf über drei Milliarden Euro. Die Anklage fußt wesentlich auf den Aussagen des mitangeklagten Kronzeugen Oliver Bellenhaus, ehedem Wirecard-Manager in Dubai.

Nach Darstellung Brauns waren sowohl Geschäfte als auch Erlöse echt. Stattdessen sollen Marsalek, Bellenhaus und Komplizen zwei Milliarden Euro aus dem Konzern abgezweigt und veruntreut haben.

Marsalek hat dem Gericht kürzlich über seinen Anwalt einen aufsehenerregenden Brief zukommen lassen, in dem er den einstigen Mitarbeiter und Kronzeugen Bellenhaus als Lügner beschuldigt. Daher misst Brauns Verteidigung dem Brief große Bedeutung zu.

Die Richter wollen aber erst nach Bedenkzeit entscheiden, ob sie das Schreiben als »schriftliche Zeugenerklärung« für die Beweisaufnahme zu den Akten nehmen. »Das werde ich nicht in der Nacht übers Knie brechen«, sagte der Vorsitzende Richter Markus Födisch. Die Verteidigung des Kronzeugen hat das Marsalek-Schreiben für »Blödsinn« erklärt.

© dpa-infocom, dpa:230720-99-471425/4