Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren ist in Robert Habeck (Grüne) ein Bundeswirtschaftsminister zu Besuch in Indien. Dahinter steht: Indien wird für Deutschland immer wichtiger. Das gilt vor allem beim Bestreben, in Asien nicht zu abhängig von China zu werden und Lieferwege breiter aufzustellen. Außerdem geht es um Energie- und Klimapolitik. Auf Habecks Programm von Donnerstag bis Samstag stehen politische Gespräche und Firmenbesuche in Neu Delhi und Mumbai sowie in Goa ein G20-Energieministertreffen.
Welche Bedeutung hat Indien für die deutsche Wirtschaft?
Indien hat China als bevölkerungsreichstes Land abgelöst. Mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern ist es auch die größte Demokratie der Welt und hat wachsenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss - gerade im Indopazifik, also dem Raum rund um den Indischen Ozean sowie Teile des Pazifiks. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Indien ist zuletzt deutlich gestiegen, im vergangenen Jahr lag es bei rund 30 Milliarden Euro. Indien lag damit auf Rang 24 der wichtigsten deutschen Handelspartner. Zum Vergleich: Größter Handelspartner war China, mit einem Handelsvolumen von rund 299 Milliarden Euro.
Die Reise Habecks ist ein Signal in Richtung China - dort war er noch nicht. Die neue China-Strategie der Bundesregierung sieht im Kern vor: »De-Risking«. Einseitige Abhängigkeiten von China etwa bei Rohstoffen sollen verhindert werden, Firmen sollen Lieferwege breiter aufstellen. Hier kommt auch Indien ins Spiel. Auf einer Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft in Singapur im vergangenen November machte die Formel »China plus X« die Runde - oder: »China plus 1«.
Welche Erwartungen sind mit der Reise Habecks verbunden?
Zum letzten Mal war nach Ministeriumsangaben 2012 ein deutscher Wirtschaftsminister in Indien, damals der FDP-Politiker Philipp Rösler. Habecks Ziel ist es, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vertiefen. Mit Interesse verfolgt würden außerdem Bestrebungen Indiens, »grüne« Wasserstoffproduktion auch für den Export aufzubauen - auf Basis erneuerbarer Energien hergestellter »grüner« Wasserstoff soll die Schlüsseltechnologie sein, um Produktionsprozesse etwa in der Stahlindustrie klimafreundlich umzustellen. Deutschland wird viel Wasserstoff importieren müssen.
Außerdem dürfte es bei dem Besuch um die Verhandlungen der EU mit Indien über ein Freihandelsabkommen geben. Habeck dürfte auch dafür werben, dass Indien einem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) initiierten internationalen »Klimaclub« für einen ehrgeizigen Kampf gegen die Erderwärmung beitritt. Ebenfalls in Indien ist derzeit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), um für Deutschland als attraktives Einwanderungsziel zu werben.
Wie geht es der indischen Wirtschaft?
Indiens Wirtschaft wächst dieses Jahr nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) um 5,9 Prozent - mehr als andere große Volkswirtschaften. Prognosen etwa von Goldman Sachs zufolge soll das Land bis zum Jahr 2075 die zweitgrößte Volkswirtschaft werden - nach China und vor den USA. Mehr als ein Viertel der indischen Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt.
Das Land hofft, von Lieferkettenverlagerungen profitieren zu können. Um Neuansiedlungen zu unterstützen, werden großzügige Subventionen gewährt - das Programm »Production Linked Incentives« ist die indische Antwort auf das milliardenschwere US-Subventionsprogramm Inflation Reduction Act. Erste Erfolge sind bereits sichtbar. So stieg die Produktion von Elektronikartikeln deutlich.
Was exportiert Indien nach Deutschland?
Textilien, Tee und Gewürze sind laut Anne Krieckhaus von der Deutsch-Indischen Handelskammer Exportklassiker aus Indien. Aus Indien stammten auch verschiedene Teile, die in deutschen Autos verbaut würden. Außerdem kämen aus dem Land, das als »Apotheke der Welt« bekannt ist, ein Großteil der Masern-Mumps-Röteln-Impfungen sowie Arzneimittel beziehungsweise Bestandteile davon. Deutsche Unternehmen bezögen zudem laut Geschäftsführer Dirk Matter von der Handelskammer IT-Dienstleistungen aus Indien. Nach Angaben der bundeseigenen Außenwirtschaftsgesellschaft Germany Trade & Invest liefert Indien auch Maschinen und Elektronik.
Warum ist Indien für deutsche Firmen attraktiv?
»Indien bietet für deutsche Unternehmen eine einzigartige Kombination aus Marktgröße, Marktpotenzial und Talentpool«, sagte Kirsten Schoder-Steinmüller, Vizepräsidentin der Deutsche Industrie- und Handelskammer. Die Produktion deutscher Unternehmen in Indien werde in den nächsten Jahren sowohl für den lokalen Markt wie für den Export in andere Länder und Regionen an Bedeutung gewinnen. Deutsche Unternehmen seien in Indien vor allem in der Automobil-, Maschinenbau- und Chemiebranche aktiv. Aber auch erneuerbare Energien und »grüner« Wasserstoff sowie Logistik und Infrastruktur würden zu immer attraktiveren Geschäftsfeldern. Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie, sagte, Indien habe einen hohen Stellenwert bei den Anstrengungen der deutschen Industrie sich in Lieferketten breiter aufzustellen und weniger abhängig zu machen.
Nach einer Umfrage der Deutsch-Indischen Handelskammer unter deutschen Firmen, die in Indien aktiv sind, wurden als wichtigste Standortfaktoren genannt: politische Stabilität, Verfügbarkeit exzellente Fachkräfte und relativ niedrige Lohnkosten. Deutschland sei der siebtgrößte ausländische Direktinvestor in Indien. Deutsche Unternehmen investieren beispielsweise im indischen »Silicon Valley« Bengaluru: Continental eröffnete dort im vergangenen Jahr für mehr als 100 Millionen Euro ein neues technisches Center, SAP und Siemens Healthineers bauen dort derzeit je einen Campus.
Was sind die größten Probleme für deutsche Firmen in Indien?
Die Regierung von Premierminister Narendra Modi wirbt mit Bürokratieabbau und Investitionsanreizen, um den Produktionsstandort zu stärken. Deutsche Wirtschaftsverbände sehen aber noch viel zu tun: »Strukturelle Probleme wie Korruption, überbordende Bürokratie und Mängel in der Infrastruktur, als auch politische Themen wie wachsender Nationalismus und das schwache Bekenntnis zu internationalen Normen sind die größten Herausforderungen für deutsche Unternehmen in Indien«, so Niedermark. Zudem erhebe
Indien in mehreren Sektoren weiterhin hohe Zölle auf Waren aus Europa. Deswegen wäre ein Freihandelsabkommen mit weitreichendem Zoll-Abbau von großer Bedeutung.
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