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Streit über ÖPNV-Geld geht weiter

Wie geht es mit der Finanzierung von Bussen und Bahnen weiter? Verkehrsminister Wissing verweist auf Finanzzusagen des Bundes. Was Verkehrsexperten vorschlagen, um den ÖPNV zu entlasten.

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Eine Regionalbahn der Deutschen Bahn fährt am Morgen in den Hauptbahnhof Hannover ein. Foto: Michael Matthey/DPA
Eine Regionalbahn der Deutschen Bahn fährt am Morgen in den Hauptbahnhof Hannover ein.
Foto: Michael Matthey/DPA

Der öffentliche Personennahverkehr spielt bei der angestrebten Verkehrswende eine zentrale Rolle, doch die entscheidende Frage ist immer wieder dieselbe: Woher kommt das Geld? Wer soll bezahlen? Bundesverkehrsminister Volker Wissing sieht im Moment vor allem die Länder am Zug.

Der FDP-Politiker sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass man sich nun darauf verständigen müsse, was die Länder täten, um das ÖPNV-Angebot zu verbessern. Es brauche das Engagement der Länder, der kommunalen Spitzenverbände und der Verkehrsunternehmen. »Der nächste Schritt müssen weitere Reformen sein, auch um mehr Kosteneffizienz zu erreichen.« Für diesen erneuten Sparaufruf erhielt Wissing am Donnerstag vor allem von der Union viel Kritik.

Mehr ÖPNV, weiter ein Deutschlandticket - das kostet

Zuletzt war vor allem eine erneute Debatte über die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets aufgekommen. Seit dem 1. Mai kann die für 49 Euro im Monat erhältliche Fahrkarte verwendet werden - als digital buchbares, monatlich kündbares Abonnement, das im Nahverkehr in ganz Deutschland gilt. Die Kosten wollen Bund und Länder je zur Hälfte tragen. Vom Bund kommen von 2023 bis 2025 jeweils 1,5 Milliarden Euro. Die Länder wollen ebensoviel aufbringen. Auch mögliche Mehrkosten sollen im ersten Jahr hälftig geteilt werden.

Gerungen wird um die Aufteilung möglicher Mehrkosten in den Folgejahren, deren Höhe noch nicht genau absehbar ist. Wissing sagte nun der dpa, die Finanzfragen seien bis 2025 zwischen der Ministerpräsidentenkonferenz und dem Bund geklärt. Der Minister lehnt eine höhere Kostenbeteiligung des Bundes ab. »Der Bund hat viel Geld für das Deutschlandticket in die Hand genommen, und wir haben auch die Regionalisierungsmittel erhöht«, hatte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland kürzlich gesagt. Seiner Ansicht nach müssen die Länder jetzt zunächst bei den Verkehrsverbünden und den Vertriebskosten sparen.

Deutliche Kritik an Wissings Aussagen

Länderverkehrsminister kritisierten Wissings Vorstoß am Donnerstag erneut. »Die Aussagen von Bundesverkehrsminister Wissing sind eine absolute Frechheit. Als ob das Geld irgendwo herumläge und wir es nur aufzuheben bräuchten«, sagte Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). »Das Deutschlandticket war eine Idee des Bundes. Es wäre ein Skandal, wenn der Bund sich nach dem riesigen Aufwand Zigtausender Beteiligter nun vom Acker macht und das Ticket massiv teurer wird.«

Ulrich Lange, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, bezeichnete Wissings Sparaufruf als Dreistigkeit. »Aufgrund des vom Bund eingeführten 49-Euro-Tickets fehlt den Ländern und Kommunen das Geld für Investitionen in das ÖPNV-Angebot - konkret für die Bestandssicherung und den Infrastrukturausbau«, sagte Lange. Der entscheidende Konstruktionsfehler des 49-Euro-Tickets sei die Einführung vor dem ÖPNV-Ausbau. Mit Wissings Sparaufruf werde die Lage verschärft.

Wissing: ÖPNV-Angebot Sache der Länder, aber Bund hilft

Bund, Länder und Kommunen verhandeln derzeit über einen »Ausbau- und Modernisierungspakt« für den öffentlichen Personennahverkehr. Zum Finanzbedarf im ÖPNV bis 2031 hatte das Bundesverkehrsministerium kürzlich eine Studie erarbeiten lassen - der Kurzbericht, über den auch der »Spiegel« berichtete, liegt der dpa vor. Demnach sind mittel- und langfristig zusätzliche Milliarden notwendig.

»Obwohl auch das Angebot Sache der Länder ist, helfen wir. Von Bundesseite kann ich heute sagen: Bis 2031 werden wir allein über 110 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel für den ÖPNV zur Verfügung stellen«, sagte Wissing der dpa. Dies ist nach Ministeriumsangaben mehr als die Hälfte des prognostizierten ÖPNV-Finanzbedarfs. »In den kommenden Wochen und Monaten gilt es nun zu klären, wie sich Länder und Kommunen an der Ausweitung des Angebots beteiligen und wir dabei auch mal unkonventionelle Vorschläge prüfen.«

Flexiblere Schulanfangszeiten könnten Kosten senken

In der Studie des Beratungsunternehmens Ramboll wurde auch der Finanzbedarf einer ergänzenden »Mobilitätsgarantie« in Deutschland untersucht, um die Daseinsvorsorgefunktion des ÖPNV zu stärken - unter folgenden Annahmen: Den Bürgern werde garantiert, mit dem ÖPNV unabhängig vom Wohnort mobil sein zu können, und zwar montags bis freitags im Stundentakt von 6.00 bis 21.00 Uhr, samstags und sonntags im Zwei-Stunden-Takt.

Abseits der Bahnlinien und bei Fahrplanlücken würden landesweite Taktbusse und Rufbusse eingeführt. So würden Rufbusse bedarfsgesteuert im fahrplanfreien Flächenbetrieb verkehren nach dem Motto: »Wenn weder Bahn noch Bus verkehren, fährt der Rufbus«. Es seien jährliche Kosten für eine Mobilitätsgarantie in Deutschland von 718 Millionen Euro zu erwarten.

Die Kosten ließen sich senken, wenn eine Mobilitätsgarantie an »institutionelle Reformen« geknüpft würde, heißt es im Kurzbericht. Konkret genannt wird etwa eine Flexibilisierung der Schulanfangszeiten. Thomas Petersen, Studienleiter bei Ramboll, sagte: »Der größte Druck bezogen auf Personal-, Fahrzeug- und Kapitaleinsatz wird während der Spitzenlasten erzeugt. Gerade im ländlichen Raum ist das eine extreme Herausforderung für Verkehrsunternehmen, weil sie zum Schulstart am Morgen sehr viele Schüler befördern müssen.« Die Fahrzeuge und Fahrer seien dann aber den restlichen Tag nicht in gleichem Maße ausgelastet. Durch eine Flexibilisierung des Unterrichtbeginns könnte diese Situation entzerrt werden, und die Kosten der Kommunen könnten sinken.

© dpa-infocom, dpa:230831-99-19834/7