In Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird am Samstag das erste deutsche Importterminal für Flüssigerdgas (LNG) in Wilhelmshaven eröffnet. An dem Festakt (11.00 Uhr) werden auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) teilnehmen.
Das schwimmende Terminal vor der niedersächsischen Nordseeküste soll dazu beitragen, die durch ausbleibende Lieferungen aus Russland entstandene Lücke bei der Gasversorgung Deutschlands zu schließen.
Vier weitere Terminals sollen bis Ende nächsten Jahres in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein), Stade (Niedersachsen) und Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) entstehen. Sie können nach Angaben des Wirtschaftsministeriums zusammen ein Drittel der für die Versorgung Deutschlands benötigten Erdgasmenge aufnehmen. Den Startschuss für die Errichtung der Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel hatte Scholz drei Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 27. Februar in seiner inzwischen als historisch angesehenen »Zeitenwende«-Rede im Bundestag gegeben.
In einem Interview der »Süddeutschen Zeitung« (Samstag) sagte Scholz, dass er den Bau weiterer LNG-Terminals im nächsten Jahr vorantreiben werde und auf weitere Lieferverträge hoffe. »Die Bundesregierung ist mit den Gasimporteuren kontinuierlich im Gespräch und wirbt auch dafür, längerfristige Verträge abzuschließen«, sagte er.
Keine Knappheit - diesen Winter
Gas aus Norwegen, den USA, aus der Golfregion und den Niederlanden werde die Versorgung Deutschlands nach Ansicht des Kanzlers auch im Winter 2023/24 sichern. »Davon können wir, so wie in diesem Jahr, ausgehen, wenn nichts Unvorhergesehenes passiert«, sagt Scholz. Für den Winter 2022/23 hatte er bereits mehrfach versichert, dass es wohl keine Knappheit geben werde.
Betrieben wird die Anlage in Wilhelmshaven vom Gasimporteur Uniper. Für das Terminal wurden binnen weniger Monate eine neue, rund 26 Kilometer lange Anbindungspipeline und ein neuer Anleger gebaut. Das technische Herzstück der Anlage ist das Spezialschiff »Höegh Esperanza«, das am Donnerstag bereits beladen mit LNG an dem Anleger festmachte. Es soll künftig das von Tankschiffen angelieferte verflüssigte Erdgas in den gasförmigen Zustand umwandeln und in das deutsche Gasnetz einspeisen. Das soll in der kommenden Woche erstmals geschehen.
Bei Umwelt- und Klimaschützern sorgt das Terminal für viel Kritik. Die Deutsche Umwelthilfe will weitere rechtliche Schritte einleiten, um eine Befristung des Betriebs zu erreichen. Eine erste Klage läuft bereits. »Klimakrise und Energiekrise dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden«, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Er befürchtet, dass die angestrebte Reduzierung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase durch übermäßigen Flüssigerdgas-Import gefährdet wird.
Importe auch für andere Länder essenziell
Das Bundeswirtschaftsministerium verweist darauf, dass man einen Kapazitätspuffer brauche, etwa für den Fall, dass eine Anlage ausfällt. Die deutschen Importe sollten zudem auch die Energieversorgung anderer Länder wie Polen, Österreich, Tschechien, der Slowakei und der Ukraine absichern.
Minister Habeck versicherte in den ARD-»Tagesthemen«, alles werde so gebaut, dass die Klimaziele erreicht werden. Ohne diese Terminals hätte Deutschland in eine Mangellage hineinrutschen können. »Wir agieren hier unter höchstem Druck, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten«, sagte Habeck. Das bedeute auch, dass Beteiligungsprozesse verkürzt würden und man beim Ausbau der Infrastruktur »unübliche Wege« gehe.
Die Aktivistin Luisa Neubauer kritisiert die Bundesregierung scharf für deren Klimapolitik. Beim Ausbau erneuerbarer Energien, Geld für den Klimaschutz und beim Energiesparen gebe es Stagnation, sagte Neubauer, die eine der bekanntesten Vertreterinnen der Klimaschutzbewegung Fridays for Future in Deutschland ist, der Deutschen Presse-Agentur. »Eine Koalition, die als Fortschrittskoalition angetreten ist, hat in diesem Jahr bei vielen Menschen für Klima-Resignation und Enttäuschung gesorgt. Das kann und muss sich ändern, mit Politik, die ernsthaft vor Krisen schützt und für Gerechtigkeit sorgt.«
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