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Schattenseiten der Modewelt: Riesiger Kleidermarkt in Accra

Auf einem Kleidermarkt in Westafrika schneidern sich Menschen ein kleines Einkommen zusammen. Arbeitsminister Heil zeigt sich vor Ort beeindruckt und bedrückt. Deutliche Hinweise gibt es für Verbraucher.

Accra
Menschen arbeiten auf einem Markt in Accra. Für viele ist der Markt die Lebensgrundlage. Foto: Christophe Gateau
Menschen arbeiten auf einem Markt in Accra. Für viele ist der Markt die Lebensgrundlage.
Foto: Christophe Gateau

Ein Sound von ratternden Nähmaschinen, kleinen Radios und Rufen durchzieht den gigantischen Markt. Zwischen einem schier endlosen Gewirr von schmalen Gängen, Tischen, Stühlen und Bergen von Kleidern bahnt sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen Weg.

Kantamanto in Ghanas Hauptstadt Accra - einer der größten Secondhand-Textilmärkte weltweit. Jede Woche kommen hier rund 100 Container mit rund 15 Millionen Artikeln an, auch aus Deutschland, wie etwa ausgediente FC-Bayern-Trikots zeigen. Näherinnen und Näher kombinieren Teile alter Gucci-Kleider mit Adidas, Primark mit Nike oder Jeansstoff mit Hemdstücken aus Kunstfasern.

Auf dem Markt wird schon seit Langem mit alten Klamotten vor allem aus Europa geschneidert, gefärbt und gehandelt. Mittlerweile landet auch jede Menge Secondhand-Kleidung aus China und Amerika hier. Fast fashion - also günstige, schnell wechselnde Kleider - und Altkleidersammeln weltweit haben den Markt in den vergangenen Jahren immer weiter wachsen lassen. Heute arbeiten in rund 5000 Buden geschätzt 30.000 Menschen - und versuchen, zumeist ohne soziale Absicherung oder Schutz vor freigesetzten Chemikalien über die Runden zu kommen.

Wie im Brennglas zeigen sich hier Kehrseiten der allgegenwärtigen Verfügbarkeit günstiger Kleider. Doch was soll man als Verbraucherin oder Verbraucher etwa in Deutschland machen, damit alte Klamotten nicht woanders zum Problem werden?

Einkommen der Menschen bedrückend niedrig

Heil, der mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze noch bis Freitag Westafrika besucht, findet es »beeindruckend« hier, wie er sagt. Doch das Einkommen der Menschen sei bedrückend niedrig. »Es ist gefährliche Arbeit. Wenn es Regen gibt, werden Chemikalien ausgewaschen.« Immer wieder kommt es zu Bränden. Doch ist der Markt auch Lebensgrundlage für viele Menschen. »Jeder versucht, eine Nische zu finden«, sagt die Ghana-Chefin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Regina Bauerochse. Und Kleiderketten wie in München, Düsseldorf oder Berlin gibt es in Ghana kaum - das Angebot des Markts beschert der breiten Masse der Bevölkerung günstige und dabei oft auch originelle und hübsche Kleider.

Für den Bonner Entwicklungsexperten Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut ist die Verschiffung der Berge von Altkleidern nach Westafrika trotzdem »ein frustrierendes Thema«, wie er sagt. Bereits vor einem Vierteljahrhundert galt die Textilindustrie laut dem Experten als Motor der Industrialisierung etlicher Staaten wie Ghana. Doch unter dem Druck des Freihandels seien ab den 90er Jahren Altkleiderimporte »wie eine Flutwelle« über sie hereingebrochen, sagt Hütz-Adams.

Heute bauen ghanaische Unternehmer mit internationaler Hilfe wieder eine heimische Kleiderproduktion auf. So besuchten Schulze und Heil am Mittwoch eine Textilfabrik mit Namen KAD in Accra. Hundert Näherinnen mit weißen Mützen und Mindestlohn stellen Hemden, Schlafanzüge und Kleider für den westlichen Markt her. Ghana will an die eigene große Textiltradition anknüpfen und China, Bangladesch und anderen Textilgiganten Weltmarktanteile abjagen.

Doch viel mehr Menschen arbeiten als Tagelöhner und Kleinselbständige auf dem Kantamanto-Markt - so wie Koako Mensah. Wenn der 32-Jährige neue Secondhandware für sein kleines Geschäft bekommt, zerschneidet er sie. »Dann setze ich die Teile neu zusammen«, sagt er. Doch vieles hat auch Löcher und ist schon bei der Ankunft auf dem Markt unbrauchbar. Entsorgung? Der Textilmüll komme fort, sagt Koako Mensah erst. Vieles werde am Ende einfach vom Regen weggeschwemmt, setzt er dann hinzu.

Was ist zu tun?

Wenige Kilometer entfernt kann Bernard davon erzählen, was das bedeutet. Der 36-Jährige lebt mit seinen fünf Kindern am nur gut zwei Kilometer entfernten Meer. Berge von Müll werden hierher geschwemmt, über Flussläufe und Lagunen. Neben Textilien auch jede Menge Plastik. Früher warfen die Fischer auch Netze vom Ufer aus, doch das geht wegen der Vermüllung schon lange nicht mehr. Also müssen die Fischer immer mit ihren Booten hinausfahren. Doch, so erzählt es Bernard, fangen sie oft nicht mehr genug. »Auch in den Netzen landet der Müll.«

Was ist zu tun? Entwicklungsministerin Schulze meint, mehr internationale Regelungen seien nötig, damit es mehr Recycling und weniger Fast-Fashion-Müll gebe.

Aber auch beim Konsum könne man mehr aufpassen, meint Minister Heil. »Ich werde mir noch mal ein bisschen mehr überlegen, was ich einkaufe.« Menschen in den westlichen Ländern mit einem großen oder mittleren Einkommen würden auch viele Sachen kaufen, die sie kaum bräuchten. »Und dann mistet man alle Jahre den Kleiderschrank aus, und es landet dann am Ende hier.« Der Bonner Entwicklungsexperte Hütz-Adams meint, Verbraucherinnen und Verbraucher sollten ihre alten Klamotten nicht einfach in die nächstbeste Kleidertonne geben. Vieles davon werde industriell vorsortiert, weiterverschoben und lande dann in Westafrika.

Auf dem Kantamanto-Markt bemüht sich die wohltätige OR Stiftung um eine Verbesserung der Zustände. Ihr Mitgründer Branson Skinner hat einen Wunsch an die Konsumenten. »Wir brauchen ein neues Verhältnis gegenüber den eigenen Kleidern«, sagt er. »Wir müssen sie wieder mehr wertschätzen und nicht so schnell wegwerfen.«

© dpa-infocom, dpa:230222-99-689756/5