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Luftfahrt-Chaos rückt Arbeitsbedingungen in den Blick

Sind schlechte Arbeitsbedingungen an Flughäfen die Ursache für das Chaos im Luftverkehr? Selbst ein FDP-Minister mahnt die Unternehmen.

Luftfahrt-Chaos rückt Arbeitsbedingungen in den Blick
Ein Mitarbeiter der WISAG Aviation lädt auf dem Vorfeld des Flughafen BER »Willy Brandt« einen Kindersitz auf das Gepäck-Transportband am Flugzeug. Foto: Soeren Stache
Ein Mitarbeiter der WISAG Aviation lädt auf dem Vorfeld des Flughafen BER »Willy Brandt« einen Kindersitz auf das Gepäck-Transportband am Flugzeug.
Foto: Soeren Stache

Wegen des Chaos im europäischen Luftverkehr sind die Arbeitsbedingungen der Branche ins Blickfeld gerückt.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing sprach sich in einem Interview von Bild TV für eine angemessene Bezahlung aus. Dies sei allerdings Sache der Unternehmen. Es gebe »keine Möglichkeit, diese Arbeitsverträge jetzt von politischer Seite zu gestalten«, sagte der FDP-Politiker. »Aber klar ist auch, dass wir diese Arbeitsplätze attraktiv halten müssen, wenn wir als Gesellschaft solche Probleme nicht dauerhaft haben wollen.«

Massenhaft Flugausfälle und -verspätungen

Europaweit fallen massenhaft Flüge aus oder verspäten sich. Als Grund nennt die Branche neben der überraschend großen Nachfrage insbesondere das Fehlen fachkundigen Personals. In der Corona-Krise hatten Flughäfen, Fluggesellschaften und Dienstleister Personal abgebaut und zudem Fachkräfte verloren, die sich in anderen Branchen Jobs gesucht haben. Insbesondere bei den Bodenverkehrsdiensten und in der Kabine werden vergleichsweise niedrige Gehälter gezahlt.

Aus Sicht der Linken lässt sich der Flugverkehr nur mit höheren Löhnen und besseren Bedingungen wieder in geregelte Bahnen lenken. »Wenn man das Chaos bekämpfen will, dann heißt das gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, dann heißt das Tarifbindung, Schluss mit Leiharbeit und befristeter Beschäftigung, weil nur so kann man Beschäftigte zurückgewinnen«, sagte Parteichefin Janine Wissler.

Arbeitskräfte aus dem Ausland keine Lösung

Die von der Bundesregierung angeschobene Gewinnung von Arbeitskräften im Ausland sei keine Lösung, fügte sie hinzu. Das Personal müsste erst überprüft werden, was Wochen dauere. Kurzfristig könnten diese Menschen nicht eingestellt werden. Wissler betonte, Sicherheitsaufgaben wie die Kontrollen an Flughäfen sollten in staatlicher Hand bleiben und nicht an private Unternehmen vergeben werden. Sie verwies auf Bayern, das dafür eine Sicherheitsgesellschaft gegründet habe. Das sei »ein ganz gutes Beispiel«.

Der Flughafenverband ADV wies die Vorwürfe geringer Bezahlung zurück. »Im Bereich der Luftsicherheit haben sich die Löhne in den letzten Jahren verdoppelt und liegen weit über dem gesetzlichen Mindestlohn«, erklärte Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. Bei den Bodenverkehrs- und Ladediensten stünden Flughäfen und private Arbeitgeber mit den Gewerkschaften kurz vor dem Abschluss eines Branchentarifvertrages, der für alle Lohngruppen eine einheitliche und faire Bezahlung sicherstelle. Den Flughäfen fehlen laut ADV bis zu 20 Prozent des Personals in den operativen Bereichen. Lufthansa-Vorstand Harry Hohmeister meinte, die Systemprobleme müssten an vielen verschiedenen Stellen angegangen werden.

Angespannte Lage auch in Reisebüros

Auch in den Reisebüros ist die Lage angespannt. Der Reisebüroverband VUSR fordert angesichts von Flugstreichungen und Verspätungen einen Ausgleich für den Mehraufwand im Vertrieb. Die Reisebüros leisteten »die Kärrnerarbeit für die Branche und das bisher unentgeltlich«, sagte die Vorsitzende des Verbandes unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR), Marija Linnhoff, jüngst dem Branchenportal »Reise vor 9«.

Die Fluggesellschaften hätten über Monate Flüge verkauft, die sie jetzt strichen, weil sie kein Personal hätten, sagte Linnhoff. Der Mangel an Fachkräften sei aber schon lange bekannt gewesen. Der stationäre Vertrieb erwarte deshalb, dass sich die Airlines mit allen Betroffenen an einen Tisch setzten, um eine Lösung zu finden, die den Reisebüros den Mehraufwand ersetze. »Im Zweifel müssten wir ansonsten überlegen, diese Vergütung für unsere Mitglieder einzuklagen«, sagte Linnhoff.

© dpa-infocom, dpa:220704-99-902875/6