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Habeck-Berater: Mehr EU-Zusammenarbeit gegen Lieferengpässe

Ob bei IT-Dienstleistungen aus den USA, Chips aus Taiwan oder Uranerz aus Russland: Deutschland hängt stark von anderen Ländern ab. Doch was tun? Ein Ökonomen-Gremium legt Vorschläge auf den Tisch.

Hamburger Hafen
Um die Versorgung mit wichtigen Gütern sicherzustellen, könnten auch Abnahmeverpflichtungen der öffentlichen Hand unter bestimmten Bedingungen sinnvoll sein, schreiben die Wissenschaftler. Foto: Marcus Brandt/DPA
Um die Versorgung mit wichtigen Gütern sicherzustellen, könnten auch Abnahmeverpflichtungen der öffentlichen Hand unter bestimmten Bedingungen sinnvoll sein, schreiben die Wissenschaftler.
Foto: Marcus Brandt/DPA

Für weniger Abhängigkeit bei kritischen Gütern plädieren Berater von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für eine stärkere Abstimmung auf europäischer Ebene. Die Risiken seien insbesondere für Deutschland groß, schreibt der wissenschaftliche Beirat des Ministeriums in einem Gutachten mit dem Titel »Leitplanken zur Stärkung der Versorgungssicherheit«, das am Dienstag in Berlin veröffentlicht wurde. »Die deutsche Volkswirtschaft, gekennzeichnet durch einen immer noch starken industriellen Kern und ein hohes Ausmaß an Offenheit, ist besonders stark von Unsicherheit in den internationalen Lieferketten betroffen.«

Die Handelsstatistik weise zwar auf keine große Abhängigkeit von einzelnen Importländern hin, schreiben die Fachleute - bei wichtigen Rohstoffen könne das aber anders sein. So sei Uranerz 2019, also vor der Corona-Pandemie, aus gerade einmal zwei Lieferländern gekommen, darunter Russland. 19 für die Pharmaindustrie wichtige Substanzen stammten aus höchstens drei Ländern, ebenso hoch spezialisierte Güter wie Telekommunikationssatelliten, Kühlschiffe und Schwimmbagger. China sei in dem Bemühen, seine Lieferantenbeziehungen auf eine breitere Basis zu stellen, deutlich weiter als die EU oder die USA.

»Besonders schmerzhaft wäre eine Entkoppelung Deutschlands im Bereich von Elektronikprodukten wie Chips aus den wichtigsten asiatischen Herstellerländern (Taiwan, China, Japan und Korea). Hier würde kurzfristig ein realer Wertschöpfungsverlust in der Höhe von circa 13 Milliarden Euro entstehen«, schreiben die Ökonomen. Ähnlich hohe Verluste entstünden, wenn keine Importe von IT-Dienstleistungen aus USA mehr möglich wären. Die aktuelle Abkoppelung von russischen Energieprodukten wie Gas und Erdöl schlage sogar mit etwa 20 Milliarden Euro zu Buche.

Warnung vor politischem Aktionismus

Die Wissenschaftler warnen allerdings vor politischem Aktionismus im Umgang mit solchen Risiken. »Es existiert die Gefahr, dass hektische politische Maßnahmen zur Eindämmung dieser Schwankungen kontraproduktiv sind, weil die Steigerung des Angebotes typischerweise Zeit erfordert und daher oft erst wirksam wird, wenn die Knappheiten bereits abnehmen«, warnen sie. »Unüberlegte, an kurzfristigen Bedarfen orientierte Maßnahmen laufen außerdem Gefahr, dass sie zukünftige Knappheiten nicht im Blick haben.« So sei eine verlässliche Identifikation strategisch wichtiger Güter und Dienstleistungen kaum möglich. Was die Erstellung von »Listen kritischer Güter, Technologien oder Sektoren« zur Unterstützung durch den Staat angeht, sind die Wissenschaftler skeptisch.

Als wichtiges Instrument betrachten die Fachleute EU-Freihandelsabkommen. Dabei solle es künftig weniger um die Öffnung neuer Märkte für europäische Produkte gehen als um die Beschaffung wichtiger Güter, raten sie. Abkommen über kritische Mineralien, wie die EU sie mit den USA und Chile plane, begrüßen sie. Bei der Absicherung von Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen, wie sie die Bundesrepublik etwa über Hermes-Bürgschaften anbietet, sollten Kriterien wie die Sicherung der Rohstoffversorgung eine größere Rolle spielen. Auch bessere Rahmenbedingungen für Recycling seien wichtig.

Handelspolitik stark durch Brüssel bestimmt

Um die Versorgung mit wichtigen Gütern sicherzustellen, könnten auch Abnahmeverpflichtungen der öffentlichen Hand unter bestimmten Bedingungen sinnvoll sein, schreiben die Wissenschaftler. Auch so genannte Kapazitätsmärkte, wie es sie in Frankreich und den USA für Strom gebe, könnten helfen. Hier sagen Versorger künftige Lieferungen zu festgelegten Preisen zu und erhalten dafür vorab Geld.

Da die deutsche Wirtschaft mit anderen europäischen Staaten eng verflochten ist und die Handelspolitik stark durch Brüssel bestimmt ist, schlagen die Ökonomen die Einrichtung eines europäischen Büros für Versorgungssicherheit vor. Dies solle mögliche Lieferschwierigkeiten in den internationalen Handelsbeziehungen überwachen und der Politik Vorschläge zur Reaktion darauf machen. Auch die Koordination gemeinsamer strategischer Reserven wichtiger Rohstoffe könne zu seinen Aufgaben gehören.

Der wissenschaftliche Beirat berät den Wirtschaftsminister unabhängig und ehrenamtlich in Fragen der Wirtschaftspolitik. Seine 41 Mitglieder tagen fünf Mal im Jahr, beraten sich zu selbstgewählten Themen und veröffentlichen ihre Ergebnisse in Form von Gutachten.

© dpa-infocom, dpa:231121-99-24495/2