Im Wohnungsbau herrscht Dauerkrise. Seit Jahren fehlt Wohnraum in Deutschland. Doch statt zu bauen wie verrückt, werden jetzt Projekte abgesagt. Familien begraben wegen hoher Kosten den Traum vom eigenen Haus, Firmen gehen pleite. Mieter, Eigentümer, Baubranche - sie alle stellen der Bundesregierung ein katastrophales Zeugnis aus.
Bei einem Treffen im Kanzleramt sollen sie am Montag alle an einen Tisch - und einen Plan entwickeln, wie schnell und preiswert mehr Wohnungen gebaut werden können. Doch schon vor Beginn ist klar: Nicht alle ziehen an einem Strang. Und die geforderten Staatshilfen in zweistelliger Milliardenhöhe sind auch kaum zu erwarten.
Warum kommt Deutschland beim Wohnungsbau nicht voran?
Das Grundproblem ist bekannt: Schon seit Jahren fehlt in Deutschland Wohnraum, vor allem in den Ballungsgebieten. Die Preise schossen wegen des geringen Angebots sowohl auf dem Miet- als auch auf dem Kaufmarkt in die Höhe. Die Ampel-Regierung hat sich deshalb vorgenommen, für 400.000 neue Wohnungen im Jahr zu sorgen. Doch dieses Ziel reißt sie immer wieder. 2022 waren es knapp 300.000, für dieses Jahr geht die Baubranche von 230.000 bis 250.000 neuen Wohnungen aus. Im nächsten Jahr dann von weniger als 200.000.
Hauptproblem sind die seit Beginn des Ukraine-Kriegs explosionsartig gestiegenen Bauzinsen. Wo vor zwei Jahren noch weniger als ein Prozent verlangt wurde, sind es heute vier. Dazu kommen die hohe Inflation und hohe Materialkosten. Immer weniger Privatleute wollen und können sich das Bauen leisten. Bauanträge, Grundstücksverkäufe, Planungen - alles im Sinkflug.
Wie haben sich Mieten und Kaufpreise zuletzt entwickelt?
In den Metropolen gibt es schon länger kaum noch preiswerte Mietwohnungen. Zuletzt stiegen die Angebotsmieten in kleineren Städten prozentual jedoch noch stärker an. Am deutlichsten war das im vergangenen Jahr in Delmenhorst in Niedersachsen mit einem Plus von 13,2 Prozent.
Kaufpreise dagegen sanken zuletzt so stark wie noch nie seit dem Jahr 2000. Im zweiten Quartal verbilligten sich Wohnimmobilien laut Statistischem Bundesamt verglichen mit dem Vorjahreszeitraum im Schnitt um 9,9 Prozent. Doch wegen der gestiegenen Zinsen können sich viele Menschen selbst das nicht leisten.
Wie versucht die Bundesregierung gegenzusteuern?
Sie hat Anfang 2022 ein Bündnis ins Leben gerufen, in dem Politiker, Kommunalverbände, Wohnungs- und Bauwirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen, Umwelt-, Verbraucherschutz- und Sozialverbände gemeinsam Lösungen entwickeln sollten. Raus kamen 187 Maßnahmen, deren Großteil auch umgesetzt wurde - die aber letztlich wenig Besserung brachten.
Manche Bündnispartner sind so enttäuscht von der Regierung, dass sie das Treffen am Montag boykottieren. Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) sowie der Eigentümerverband Haus & Grund sind im Kanzleramt nicht dabei. Die Ampel-Regierung nehme die Lage nicht ernst genug, kritisieren sie. Keine ihrer Krisenmaßnahmen führe zum Ziel.
Was sind das für Krisenmaßnahmen?
Die Bundesregierung, allen voran Bauministerin Klara Geywitz (SPD) und der für Sanierungen zuständige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), versuchen mit Förderprogrammen für Bauherren und Steuervorteilen für Firmen gegenzusteuern. Teils wurden ihnen Fördermittel so aus der Hand gerissen, dass die Töpfe vorzeitig ausgeschöpft waren und Bauherren, die mit den Hilfen geplant hatten, leer ausgingen.
Andere Programme wie günstige Neubaukredite für Familien mit wenig Einkommen zogen dagegen gar nicht. In den ersten zwei Monaten wurden nur 104 Anträge eingereicht. Die Baubranche kritisiert vor allem die Einkommensgrenze von 60.000 Euro. Mit diesen Einkommen könne man sich das Bauen auch mit Billig-Kredit kaum leisten. Familien, die mehr verdienen, werden von der Regierung aber nicht unterstützt. Geywitz kündigte vor dem Krisentreffen nun an, die Einkommensgrenze und die Kreditsumme nach oben zu setzen.
Sind auch neue Förderprogramme geplant?
Ja, etwa für den Kauf und die Sanierung eines älteren Hauses. Details dazu sind aber noch nicht bekannt.
Welche Rolle spielt der Klimaschutz?
Der Gebäudebereich gehört beim Klimaschutz zu den größten Sorgenkindern - wegen fossiler Heizungen, schlechter Dämmung, alter Fenster. Staatliche Förderung ist deshalb in der Regel daran gekoppelt, dass man sein Haus klimafreundlich baut oder saniert. Doch das macht die Vorhaben teuer. Geywitz ist deshalb zum Beispiel gegen verpflichtende Mindest-Effizienstandards für Gebäude, wie sie in Brüssel diskutiert werden. Das halte die Menschen vom Kauf unsanierter Häuser ab, meint sie.
Mit Blick auf Neubauten geht sie auch klar auf Distanz zum Energiesparstandard EH40, den die Ampel im Koalitionsvertrag für 2025 vereinbart hat. Dieser konzentriere sich zu sehr auf Dämmung und Heizen, meint Geywitz. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, ob umweltgerechte Baumaterialien eingesetzt und Flächen gespart würden.
Ist das Krisentreffen nur eine Showveranstaltung?
Geywitz hat zwar die Ausweitung bestehender Programme und auch neue Hilfen in Aussicht gestellt. Die Forderungen der zahlreichen Branchen- und Lobbyverbände nach Steuererleichterungen und 50 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogrammen, einem wahren Wohnungsbau-»Wumms«, wird sie aber kaum erfüllen können. Dazu setzen der Bundeshaushalt und die Schuldenbremse zu enge Grenzen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) wird zweistelligen Milliardensummen für die Baubranche wohl nicht zustimmen.
© dpa-infocom, dpa:230925-99-322412/2