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Ex-Wirecard-Chef Braun angeklagt

Vor Aktionären und Investoren trat Wirecard-Vorstandschef Markus Braun über Jahre hinweg als Technologieprophet auf. Für die Staatsanwaltschaft war Braun ein Bandenchef, der Milliarden erschwindelte.

Markus Braun
Muss sich vor Gericht verantworten: Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun. Foto: Fabrizio Bensch
Muss sich vor Gericht verantworten: Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun.
Foto: Fabrizio Bensch

Im größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte hat die Münchner Staatsanwaltschaft Anklage gegen den früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun erhoben. Die Ermittler werfen Braun und zwei weiteren ehemaligen Spitzenmanagern des einstigen Dax-Konzerns »gewerbsmäßigen Bandenbetrug« vor.

Sie sollen seit 2015 die Bilanzen gefälscht und kreditgebende Banken um insgesamt 3,1 Milliarden Euro geschädigt haben - davon 1,7 Milliarden Euro an Krediten und weitere 1,4 Milliarden an Schuldverschreibungen. Über seinen Pressesprecher beteuerten Brauns Verteidiger die Unschuld ihres Mandanten und erhoben schwere Vorwürfe gegen die Ermittler.

Laut Anklage waren die Wirecard-Bilanzen von 2015 bis 2018 falsch - eine geprüfte Bilanz für 2019 kam schon nicht mehr zustande. Im Juni 2020 meldete der einst als deutsches Technologie-Vorzeigeunternehmen geltende Dax-Konzern Insolvenz an. Auslöser waren bis heute vermisste 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf Treuhandkonten verbucht waren.

Laut Ermittlungen waren dies jedoch Scheinbuchungen großen Stils. Wirecard wickelte als Zahlungsdienstleister Kreditkartenzahlungen an Ladenkassen und im Onlinehandel ab. Die mutmaßlich nicht existenten Milliarden wurden als Erträge von Partnerfirmen verbucht, die angeblich im Wirecard-Auftrag Zahlungen abwickelten. »Tatsächlich war es so, dass dieses äußerst ertragreiche Geschäft vor allem in Asien schlichtweg erfunden war«, sagte Anne Leiding, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Seit Juli 2020 in U-Haft

Die mögliche Höchststrafe für besonders schwere Fälle von Betrug sind zehn Jahre Haft. Dies ist aber nicht der einzige Anklagepunkt: Die Staatsanwaltschaft wirft »Dr. B.« und Komplizen »unrichtige Darstellung« vor - damit sind die falschen Wirecard-Bilanzen gemeint - darüber hinaus noch Untreue und Marktmanipulation. Bevor es zum Prozess kommt, muss im nächsten Schritt das Landgericht München entscheiden, ob die Anklage zugelassen wird. Der Österreicher Braun sitzt seit 22. Juli 2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Jedem der Angeschuldigten sei spätestens seit Ende 2015 klar gewesen, dass die Wirecard AG mit dem tatsächlichen realen Geschäft nur Verluste erwirtschaftete, sagte Leiding. »Der Angeschuldigte Dr. B. wusste, dass mit Übernahme der unrichtigen Buchungszahlen die Konzernbilanz ebenfalls falsch wurde, und unterzeichnete als CEO gleichwohl die jeweiligen Abschlüsse«, schrieben die Staatsanwälte in ihrer Mitteilung. Motiv der drei Angeklagten war demnach, sich eine »dauerhafte Einnahmequelle« zu verschaffen.

Verteidiger beteuern Unschuld

Brauns Verteidiger hingegen stellen ihren Mandanten als Opfer dar: »Die Anklage leidet an gravierenden Mängeln und geht von einem völlig falschen Tatbild aus«, erklärte Brauns Sprecher im Auftrag der Verteidiger. Im weiteren Verfahren werde sich erweisen, dass »Dr. Braun nie Teil einer Bande war, die Millionensummen hinter seinem Rücken veruntreut hat, dass er nichts von den Machenschaften dieser Bande gewusst und schon gar nicht von diesen profitiert hat.«

Dies zielt auf den seit Sommer 2020 untergetauchten ehemaligen Vertriebsvorstand Jan Marsalek als vierten Hauptverdächtigen, gegen den die Staatsanwaltschaft gesondert ermittelt. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Wirecard-Bande noch größer war. Leiding sprach von einer zweistelligen Zahl von Beschuldigten.

Nach Darstellung des früheren Wirecard-Marketingchefs Jörn Leogrande liefen einerseits alle Fäden in dem Unternehmen bei Braun zusammen. Andererseits gab Braun sich ungern mit den Mühen des Tagesgeschäfts ab, sondern entwarf lieber grandiose Zukunftsvisionen, wie Leogrande in seinem 2021 erschienenen Buch »Bad Company« schreibt.

Der ehemalige Konzernchef und einstige Milliardär Braun ist durch den Kollaps seines Unternehmens selbst ruiniert worden, da er nahezu sein gesamtes Vermögen in Wirecard-Aktien angelegt hatte. Geschädigt wurden nicht nur Banken und Investoren, sondern auch zehntausende von Aktionären. Wirecard war nach dem Aufstieg in den Dax an der Börse 2018 zeitweilig über 20 Milliarden Euro wert, dieses Geld ist zerronnen.

Der mutmaßliche Betrugsschaden von über drei Milliarden Euro übersteigt zumindest in absoluten Zahlen und nicht inflationsbereinigt alle seit 1945 in Deutschland bekannt gewordenen Fälle. Bisheriger Rekordhalter ist das badische Unternehmen Flowtex, das mit dem Verkauf nicht existenter Bohrmaschinen in den 1990er Jahren einen Betrugsschaden von zwei Milliarden Euro anrichtete. Im VW-Skandal waren die Folgekosten für den Wolfsburger Konzern mit an die 30 Milliarden Euro zwar noch ungleich höher, aber dabei ging es nicht um Finanzschwindel. 

Braun verteidigt sich mit dem Argument, er sei nicht Betrüger, sondern Betrogener. Vor Gericht wird er sich auf bohrende Fragen einstellen müssen: Wie war es möglich, dass der Konzernchef fünf Jahre lang von Milliardenbetrug vor seiner Nase nichts mitbekommen haben will? Manipulationsvorwürfe gegen Wirecard gab es seit über einem Jahrzehnt. Doch der Vorstandschef hatte jegliche Kritik stets in Bausch und Bogen für völlig haltlos und frei erfunden erklärt. Eine Verurteilung wegen Betrugs setzt voraus, dass der Angeklagte mit voller Absicht handelte - einen Straftatbestand des fahrlässigen Betrugs gibt nicht.

© dpa-infocom, dpa:220314-99-512694/5