Im Münchner Wirecard-Prozess hat der frühere Aufsichtsratsvorsitzende von Organisationsmängeln und schwer nachvollziehbaren Manövern bei dem 2020 kollabierten Konzern berichtet. Doch direkte strafrechtliche Vorwürfe gegen den wegen mutmaßlichen Milliardenbetrugs angeklagten Ex-Vorstandschef Markus Braun oder seine zwei Mitangeklagten erhob der einstige Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann am Mittwoch vor dem Münchner Landgericht nicht.
»Wer ist schon davon ausgegangen, sich in einer Art Spionagethriller wiederzufinden, wenn er im Aufsichtsrat eines Dax-Unternehmens sitzt«, sagte der 58-Jährige.
Der ehemalige Unternehmensberater war ein Jahr vor der Wirecard-Insolvenz im Juni 2019 Mitglied des Aufsichtsrats geworden, den Vorsitz übernahm er in der Endphase im Januar 2020. »Es gab nichts, das super-auffällig gewesen wäre«, sagte Eichelmann über seine Anfangszeit im Aufsichtsrat.
Aufsichtsrat veranlasste Sonderprüfung der Bilanzen
Da die Londoner »Financial Times« im Laufe des Jahres jedoch in mehreren Meldungen über mutmaßliche Bilanzfälschung bei dem bayerischen Dax-Konzern berichtet hatte, veranlasste der Aufsichtsrat eine Sonderprüfung der Bilanzen durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Im April 2020 kamen die Prüfer schließlich zu dem Schluss, dass es für eine Milliarde verbuchter Erlöse keine zweifelsfreien Belege gab.
Der Aufsichtsrat forderte Braun deswegen auf, die von KPMG genannten Mängel in einer Ad-hoc-Mitteilung publik zu machen. Diese Börsenpflichtmeldung sollte den expliziten Hinweis enthalten, dass die Vorwürfe gegen das in Zweifel stehende sogenannte Drittpartnergeschäft des Konzerns nicht ausgeräumt worden waren, wie Eichelmann sagte. Die Drittpartner waren Unternehmen, über die laut Anklage Scheingeschäfte in Milliardenhöhe liefen.
In der von Braun am 20. April 2020 veröffentlichten Ad-hoc-Meldung war davon jedoch keine Rede. Stattdessen hieß es in dem Text, dass die Prüfer keine belastenden Belege für Bilanzmanipulation gefunden hätten. Der Aufsichtsrat diskutierte anschließend, ob Braun gefeuert werden sollte und holte deswegen Rechtsberatung ein.
Milliarden Euro nicht auffindbar
»Ich war nicht erregt, ich war fassungslos, kann man sagen«, erinnerte sich Eichelmann. Für eine Abberufung habe es nach Meinung der Rechtsanwältin aber nicht gereicht. Auch die KPMG-Prüfer seien der Meinung gewesen, dass das Drittpartnergeschäft wahrscheinlich real sei, aber nicht ausreichend belegt.
Zwei Monate später kam dann zutage, dass 1,9 Milliarden Euro vorgeblich aus dem Drittpartnergeschäft stammender Erlöse nicht auffindbar waren. Das bedeutete das Aus für Braun - wenige Tage, bevor der Konzern Insolvenz anmelden musste. »Herr Dr. Braun hatte wenige Minuten, zu überlegen, ob ich ihn rausnehme, oder ob er freiwillig zurücktritt«, sagte Eichelmann. Braun entschied sich für »freiwillig«.
Eichelmann berichtete zudem, dass der Konzern bei der Aufstellung der Konzernbilanz für das Jahr 2018 viele Zahlen erst in quasi letzter Sekunde vorgelegt habe. Während der Sonderprüfung habe das Unternehmen viele Unterlagen nicht geliefert und vereinbarte Gesprächstermine nicht eingehalten.
Braun und zwei weitere frühere Wirecard-Manager stehen seit Dezember wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs vor Gericht. Laut Anklage sollen sie seit 2015 die Wirecard-Bilanzen gefälscht und kreditgebende Banken um 3,1 Milliarden Euro geschädigt haben. Braun bestreitet sämtliche Vorwürfe.
Der frühere Aufsichtsratschef Eichelmann hat juristisch selbst mit den Folgeschäden der Wirecard-Insolvenz zu kämpfen. Denn der Insolvenzverwalter Michael Jaffé hat sowohl gegen den früheren Vorstand als auch gegen den ehemaligen Aufsichtsrat »Organhaftungsklage« eingereicht. Dabei geht es um die Frage, ob die Wirecard-Vorstände und ihre Kontrolleure wegen Pflichtverletzung Schadenersatz zahlen müssen.
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