Für Supermarktkunden und viele Landwirte sind es schwierige Zeiten: Bei der Lebensmittelproduktion sollen bessere Bedingungen in den Ställen und mehr Naturschutz auf den Feldern kommen. Doch das bedeutet Mehrkosten, und das ausgerechnet inmitten der hohen Inflation. Eine verbreitete Kaufzurückhaltung bei teureren Produkte bremst nach Branchenangaben gerade schon einen schnelleren Wandel zu mehr Bio-Landwirtschaft. Bundesagrarminister Cem Özdemir setzt aber darauf, dass sich mehr Nachhaltigkeit auch lohnen soll.
»Die Zeiten waren schon mal leichter für die Transformation der Landwirtschaft«, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Berlin. Da sind angespannte Agrarmärkte und zahlreiche Preissprünge infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Entlastungspakete sollen Härten vor allem bei teurerer Energie abfedern. Komplett ungeschehen machen ließen sich die Folgen aber nicht. »Die Preissteigerungen haben einen Namen: Wladimir Putin«, sagte Özdemir mit Blick auf den russischen Präsidenten. Die weiteren Agrarperspektiven sind auch Thema der Messe Grüne Woche, die an diesem Freitag wieder in Berlin ihre Tore öffnet.
Rukwied: Massiver Umsatzeinbruch im Handel
Bio-Dämpfer: »Im Moment sind die Überlegungen, auf Öko-Landwirtschaft umzustellen, verhalten«, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied der Deutschen Presse-Agentur. Reformhäuser und andere, die hochwertige Bioprodukte vermarkten, litten unter einem massiven Umsatzeinbruch. »Der Trend geht bei Bio momentan eindeutig in den Discountbereich.« Das beobachteten Landwirte natürlich. Denn die Aufwendungen seien einfach höher, und das müsse sich im Preis widerspiegeln. So sei im Ökolandbau etwa der Anteil der mechanischen Bodenbearbeitung höher.
Dabei baut die Bundesregierung auf ein kräftiges Bio-Wachstum. Ziel ist ein Öko-Flächenanteil von 30 Prozent schon bis 2030. Nach jüngsten Daten für 2021 waren es zuletzt 10,9 Prozent der gesamten Agrarfläche nach 10,3 Prozent Ende 2020. Bio wirtschaften inzwischen 14 Prozent aller Höfe. Auch Özdemir sieht »eine schwierige Phase« für den Biomarkt, weil viele Kunden preisbewusst einkauften. Dabei seien manche Biowaren wie Gurken teils sogar günstiger, da der Ökoanbau nicht auf teureren mineralischen Dünger angewiesen sei. Ein Hebel für mehr Bio-Schwung sollen etwa auch Kantinen und Mensen sein.
Mehr Pflanzen, weniger Fleisch: »Die Erzeugung folgt immer dem Markt«, erläuterte Bauernpräsident Rukwied. »Wir sehen einen Trend hin zu einem höherem Anteil vegetarischer oder veganer Ernährung. Und das versuchen wir natürlich auch zu bedienen.« Ein Beispiel seien Kichererbsen, die es vor einigen Jahren so noch nicht auf deutschen Feldern gegeben habe. »Jetzt werden sie in verschiedenen Regionen mit passendem Klima angebaut, auch wenn das Anbaurisiko hoch ist - in einem feuchten Sommer funktioniert es nicht wirklich.«
Foodwatch fordert gesetzliche Vorgaben
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) strebt für mehr Nachhaltigkeit generell ein stärker auf Pflanzen basiertes Ernährungssystem an und betont: »Pflanzen gehören in allererster Linie auf den Teller und nicht in den Tank.« Daher plant sie bis 2030 einen schrittweisen Ausstieg aus Kraftstoffen aus Pflanzen, die für Nahrung und Futter nutzbar sind. Kommen sollen Anreize für »echte Biokraftstoffe« etwa aus Abfallstoffen. Und dazu werde sie »sehr zeitnah« einen Entwurf vorlegen. Bioethanol auf Basis von Mais, Zuckerrüben oder Getreide müsse ein Auslaufmodell sein, forderte die Umweltorganisation WWF.
Lohnender Wandel: Özdemir machte klar, dass der Wandel für die Bauern ökonomisch tragbar sein soll. »Ich bin davon überzeugt, dass es auch finanziell ein Vorteil sein muss, nachhaltig zu wirtschaften.« Wenn es sich für Betriebe lohne, Tieren mehr Platz zu geben, Böden gesund und das Wasser sauber zu halten, könne die Transformation erfolgreich gestaltet werden. »Ressourcen zu schädigen, kostet langfristig so viel mehr, als schonend mit ihnen umzugehen.«
Unter Beweis stellen kann die Politik das beim Umbau der Tierhaltung. Mit vorerst einer Milliarde Euro bis 2026 will die Ampel-Koalition absichern, dass Bauern nicht allein auf Mehrkosten sitzen bleiben. Zunächst sollen Schweinehalter Geld bekommen, deren Betriebe deutlich über den zwingenden gesetzlichen Vorgaben arbeiten. Gefördert werden sollen »tier- und umweltgerechte« Neu- und Umbauten von Ställen sowie auch laufende Mehrkosten einer besseren Haltung. Der Bauernverband protestierte gegen geplante Bedingungen etwa zu maximalen Tierzahlen.
Transparenz zum Tierwohl: Ein Hebel für bessere Bedingungen soll auch mehr Klarheit über die Haltungsbedingungen beim Einkauf sein. Özdemir will in diesem Jahr ein verpflichtendes Logo zunächst für frisches Schweinefleisch im Handel an den Start bringen - mit fünf Stufen vom gesetzlichen Mindeststandard bis zu Bio. Die oppositionelle Union monierte, dass andere Tierarten und Wurst nicht umfasst sind. Zudem drohten »bekannte und bewährte Kennzeichnungen« des Handels von dem staatlichen Logo verdrängt zu werden, warnten Unions-Agrarexperten.
Auch die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte das Vorhaben. »Es wird das Tierleid nicht beenden und noch schlimmer: Es täuscht Verbraucher und Verbraucherinnen.« Denn die Haltungsform lasse keine Rückschlüsse auf die Gesundheit der Tiere und auf ihr Wohlergehen zu. Millionen Nutztiere litten unter Krankheiten, Verletzungen und Schmerzen. Ob sie auf einem Bio-Hof oder in einem konventionellen Betrieb gehalten werden, spiele dabei kaum eine Rolle.
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