Die strengen Corona-Maßnahmen haben Chinas Wirtschaft im vergangenen Jahr schwer belastet. Wie das Statistikamt in Peking am Dienstag mitteilte, wuchs die Wirtschaft des bevölkerungsreichsten Landes im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozent. Das Wachstum im vierten Quartal wurde mit 2,9 Prozent angegeben.
Die Regierung hatte für 2022 ein Ziel von rund 5,5 Prozent angestrebt, was demnach nicht erreicht wurde. 2021 war Chinas Wirtschaft noch um 8,4 Prozent gewachsen. Ökonomen hatten zuletzt mit einem noch schwächeren Wachstum gerechnet. So prognostizierte die Weltbank ein Jahreswachstum von lediglich 2,7 Prozent für die chinesische Wirtschaft.
Besonders die strikte Null-Covid-Strategie mit Lockdowns und anderen Beschränkungen bremste die Wirtschaft im vorigen Jahr. Doch leidet China zugleich auch unter einer schweren Immobilienkrise, hoher Verschuldung und schwacher heimischer Nachfrage.
Abrupte Kehrtwende
Am 7. Dezember vollzog die Führung in Peking eine abrupte Kehrtwende und schaffte nach gut drei Jahren die meisten Corona-Maßnahmen ab. Das Coronavirus breitet sich seitdem rasant im Land aus, was sich nun ebenfalls negativ auf die Wirtschaftstätigkeit auswirkt.
Viele Metropolen glichen im Dezember Geisterstädten, da die Menschen wegen Erkrankungen oder aus Angst vor einer Infektion nicht vor die Tür gingen. Mittlerweile normalisiert sich das Leben zwar wieder. Doch gibt es weiterhin Berichte über überlastete Krankenhäuser und Krematorien. Die staatliche Gesundheitskommission gab die Zahl der Corona-Opfer seit Anfang Dezember zuletzt mit rund 60.000 an. Hochrechnungen internationaler Experten gehen jedoch von deutlich höheren Zahlen aus. Nach Schätzungen des in London ansässigen Datenverarbeiters Airfinity soll es seit Anfang Dezember schon über 400.000 Tote gegeben haben. Bis Ende April könnte die Zahl der Corona-Toten demnach auf 1,7 Millionen anwachsen.
Deutsche Unternehmen hoffen darauf, dass sich Chinas Wirtschaft in diesem Jahr erholen wird. »Chinas jüngste Abkehr von der Null-Covid-Politik ist eine begrüßenswerte Entwicklung und wird mittel- und langfristig zur Wiederherstellung des Geschäftsvertrauens beitragen«, sagte Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer (AHK) in Peking. »Ab dem zweiten oder dritten Quartal erwarten viele Unternehmen eine positivere Entwicklung für Ihr Geschäft.« Dies sei allerdings abhängig vom Vertrauen der Konsumenten, was in den vergangenen Jahren gelitten habe.
»Auch wenn nun hohe Hoffnungen auf eine schnelle Erholung gerichtet sind, ist die chinesische Wirtschaft noch weit von einer Normalisierung entfernt«, warnt Ökonom Max Zenglein vom China-Institut Merics in Berlin vor zu hohen Erwartungen. »Ein Selbstläufer« werde der Aufschwung nicht.
Warnung vor einer »unvorstellbaren« Bevölkerungskrise
Auch langfristig steht die chinesische Wirtschaft vor großen Herausforderungen, wie am Dienstag vorgelegte Zahlen des Pekinger Statistikamtes zur Bevölkerungsentwicklung unterstrichen. Chinas Bevölkerung ist im vergangenen Jahr erstmals seit sechs Jahrzehnten geschrumpft. Ende Dezember habe das bevölkerungsreichste Land der Welt 1,411 Milliarden Einwohner gehabt und damit rund 850.000 weniger als ein Jahr zuvor. Experten sprechen von einem »Wendepunkt« in Chinas Geschichte und warnen vor verheerenden Folgen einer »unvorstellbaren« Bevölkerungskrise.
»Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind düsterer als erwartet«, meint der US-Sozialwissenschaftler Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin. »China wird eine Schrumpfung durchlaufen müssen.« Auch müsse es seine Sozial- und Wirtschaftspolitik ändern. Auf den Überschuss an Werktätigen, der Chinas Wirtschaftswunder als »Werkbank der Welt« angekurbelt hatte, folgt jetzt Arbeitskräftemangel: »Chinas Produktionssektor wird unterbesetzt und überaltern - und so schnell abnehmen wie der Japans«, so Yi Fuxian.
Die Außenhandel mit China ist für Deutschland weiterhin von zentraler Bedeutung. Jedoch geraten die Handelsbeziehungen immer weiter aus der Balance, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Auswertung der Agentur Germany Trade and Invest (GTAI) hervorgeht. Während die Exporte nach China im vergangenen Jahr bis November nur noch langsam wuchsen, nahmen, auf der anderen Seite die Einfuhren aus der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt rasant zu. »Damit steigt die Abhängigkeit von China und das Handelsbilanzdefizit steuert auf einen Negativrekord zu«, hieß es.
© dpa-infocom, dpa:230117-99-245072/3