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Arbeitgeber warnen vor »Populismus mit der Lohntüte«

12,41 Euro - für die einen ist die beschlossene Mindestlohn-Erhöhung ein Skandal. Für die anderen sind Forderungen nach mehr »Populismus mit der Lohntüte«. Eine Ende des Streits ist nicht in Sicht.

Rainer Dulger
Rainer Dulger will nicht, dass der Mindestlohn wieder zum Spielball der Politik wird. Foto: Sven Hoppe/DPA
Rainer Dulger will nicht, dass der Mindestlohn wieder zum Spielball der Politik wird.
Foto: Sven Hoppe/DPA

Grüne, Gewerkschaften und Sozialverbände pochen auf Reformen für einen höheren Mindestlohn in Deutschland. Der Grünen-Sozialpolitiker Frank Bsirske forderte, die Lohnuntergrenze generell auf den Wert von 60 Prozent des mittleren Lohns zu fixieren. DGB-Chefin Yasmin Fahimi verlangte eine Reform der Mindestlohnkommission. Die Arbeitgeber halten dagegen. »Populismus mit der Lohntüte führt nur zu einer noch höheren Inflation«, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger der Deutschen Presse-Agentur. Dulger warnte vor neuerlichem Wahlkampf um die Lohnuntergrenze.

Der frühere Verdi-Chef Bsirske erinnerte an die Anfänge des Mindestlohns: »Das Kernmotiv war es, dass Arbeit nicht arm machen darf.« Mit der beschlossenen Erhöhung von 12 auf 12,41 Euro im nächsten Jahr und auf 12,82 Euro 2025 werde dieses Ziel verfehlt, sagte der Bundestagsabgeordnete der dpa. »Das bedeutet einen Rückfall vor 2015«, sagte Bsirske. Damals wurde die Lohnuntergrenze mit einer Höhe von zunächst 8,50 Euro brutto pro Stunde eingeführt.

Anhebung des Mindestlohns

»Die bisher beschlossene Anhebung des Mindestlohns um 41 Cent ab dem kommenden Jahr ist ein Schlag ins Gesicht von Millionen Beschäftigten im Niedriglohnsektor«, sagte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, der dpa. Die Mindestlohnkommission von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hatte ihren umstrittenen Beschluss kurz vor der Sommerpause gefasst - erstmals war die Gewerkschaftsseite aber von der unabhängigen Kommissionsvorsitzenden überstimmt worden. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte dennoch angekündigt, die empfohlene Erhöhung per Verordnung umzusetzen.

»Die Arbeitgeber haben sich mit dem Durchdrücken ihrer Forderung in der Mindestlohnkommission keinen Gefallen getan, weil sie die Funktionsfähigkeit der Kommission in Frage gestellt haben«, sagte DGB-Chefin Fahimi der dpa.

Richtlinien und aufstockende Leistungen

»Die EU-Mindestlohnrichtlinie sieht vor, dass sich die Mindestlöhne in jedem EU-Land an 60 Prozent des Medianlohns orientieren sollen«, sagte Fahimi. Beim Median- oder mittleren Einkommen gibt es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen. Nach Fahimis Rechnung wären das kommendes Jahr 14,12 Euro, auch wenn noch nicht feststeht, wie hoch das mittlere Einkommen 2024 liegt. Jedenfalls sei man von solchen Werten aber weit entfernt. »Und das ist ein Skandal«, sagte Fahimi. Seit Monaten belastet die anhaltende Inflation Verbraucherinnen und Verbraucher. Im Juli stiegen die Preise um 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Viele der Mindestlohnbezieher müssten aufstockende Leistungen durch das Bürgergeld beantragen. »Das heißt, wir finanzieren über Steuergelder Löhne, die nicht vor Armut schützen«, sagte Fahimi. »Im Prinzip ist das ein indirekter Kombilohn. Das lehnen wir ab.« SPD-Chef Lars Klingbeil hatte nach der Kommissionsentscheidung bereits eine stärkere Erhöhung des Mindestlohns in Aussicht gestellt - und zwar unter Berufung auf die EU-Vorgaben auf 13,50 bis 14 Euro.

Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinandern, wie weit die EU-Richtlinie reicht. »Um die dort genannten Referenzwerte zu erreichen, müsste der Mindestlohn bereits heute bei 13,16 Euro (50 Prozent des Durchschnittslohns) bzw. 13,53 Euro (60 Prozent des Medianlohns) liegen«, hatte das Forschungsinstitut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung bereits im März festgestellt.

Meinungen und Kritik

Kritiker der Gewerkschaftsposition betonen die Spielräume der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der EU-Vorgaben. »Die EU-Mindestlohnrichtlinie verändert die gesetzlichen Vorgaben für die Arbeit der Mindestlohnkommission nicht«, sagte Arbeitgeberpräsident Dulger. »Ich bitte darum, die Arbeit der Kommission zu respektieren«, so Dulger. »Der Beschluss wurde juristisch genauso gefällt, wie es das Gesetz vorsieht.«

Um zu einer deutlichen Erhöhung der Lohnuntergrenze zu kommen, verlangt VdK-Chef Bentele dringend ein Einschreiten der Regierung, »so wie sie es im vergangenen Jahr mit der Erhöhung des Mindestlohns per Gesetz auf 12 Euro gemacht hat«. Fahimi und Bsirske dringen sogar auf grundlegendere Änderungen. Die Gewerkschafterin will geänderte Regeln für die Mindestlohnkommission. »Es kann nicht sein, dass im Zweifelsfall eine der beiden Bänke überstimmt wird«, sagte sie. »Die Rolle des Vorsitzes muss dringend neutralisiert werden.« Komme eine gemeinsame Verständigung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nicht zustande, »bedarf es eines echten Schlichtungsverfahrens«.

Bsirske will die Festlegung des Mindestlohns gleich auf eine ganz neue Grundlage stellen. »Es muss gesetzlich fixiert werden, dass der Mindestlohn auf 60 Prozent des Medianlohns definiert wird.« Eine einmalige Erhöhung per Gesetz, wie von Bentele gefordert, würde aus Bsirskes Sicht magere Erhöhungsschritte in Zukunft nicht verhindern.

Dulger entgegnete solchen Forderungen: »Der Mindestlohn darf vor der nächsten Bundestagswahl nicht wieder zum Spielball der Politik werden.« Im Übrigen bitte er, die Tarifautonomie zu beachten. »Diese wird Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch die Verfassung garantiert.«

© dpa-infocom, dpa:230804-99-693647/3