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Angespannte Agrarmärkte: Bauern für mehr Getreideanbau

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat auch weitreichende Folgen für die Lebensmittelmärkte: Preise für Verbraucher steigen, diverse Kosten für die Höfe auch. Wie reagieren Politik und Branche darauf?

Deutscher Bauerntag
Bundesagrarminister Cem Özdemir (M) und Präsident des Deutschen Bauernverbands Joachim Rukwied (l) beantworten auf dem Deutschen Bauerntag Fragen von Journalisten. Foto: Axel Heimken
Bundesagrarminister Cem Özdemir (M) und Präsident des Deutschen Bauernverbands Joachim Rukwied (l) beantworten auf dem Deutschen Bauerntag Fragen von Journalisten.
Foto: Axel Heimken

Der Bauernverband macht angesichts weltweit knapperen Getreides wegen des Ukraine-Krieges Druck für Produktionausweitungen auch in Deutschland.

Präsident Joachim Rukwied sagte am Dienstag auf dem Bauerntag in Lübeck, Russland setze Lebensmittel als Waffe ein. »Dieses Schwert muss stumpfer werden, und wir können es stumpfer machen.« Bundesagrarminister Cem Özdemir stellte in seiner Rede aber vorerst keine weiteren Flächen für einen Anbau auch mit Dünger in Aussicht. Der Grünen-Politiker mahnte im Ringen um eine Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung zu höheren Standards schnelle Klarheit in der Koalition an. Angesichts der angespannten Märkte und hoher Energiekosten dürften Lebensmittelpreise im Supermarkt hoch bleiben.

Ernährungssicherung

Rukwied forderte eine vorübergehende Nutzung zusätzlicher Flächen, womit 1,4 Millionen Tonnen Weizen mehr erzeugt werden könnten - bei einer deutschen Erntemenge von insgesamt mehr als 40 Millionen Tonnen Getreide. Jede zusätzliche Tonne schwäche den Aggressor Russland, argumentierte der Bauernpräsident. Er erwarte von der Politik, dass sie das Instrument nutze. Rukwied machte zugleich ein »glasklares« Nein zu einer generellen Kehrtwende der Agrarpolitik deutlich. Am Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz müsse weiter gearbeitet werden. Es gelte aber, Regelungen nachzujustieren.

Özdemir hat unter anderem schon ermöglicht, dass ausnahmsweise Gras und Pflanzen von »ökologischen Vorrangflächen« als Futter genutzt werden dürfen. Weitergehenden Forderungen wies er erneut zurück. Er wolle diese »wertvollen Artenvielfaltsflächen« erhalten und lehne daher eine »Hochertragslandwirtschaft« mit Düngern auf diesen Standorten ab. »Nur, wenn wir schützen, was wir nutzen müssen, können wir unsere Ernährung dauerhaft und unabhängig sichern.« Wegen ausfallender Exporte aus der Ukraine wird in einigen Staaten, etwa in Afrika und Asien, mit einer knappen Versorgung gerechnet. Geringere Mengen haben Preise auf den internationalen Märkten hochgetrieben.

Preise

Für Verbraucher dürften die bisherigen Preissprünge kaum die letzten bleiben, wie auch Özdemir deutlich machte. »Wir müssen im Herbst und Winter mit Steigerungen rechnen, weil sich der Handel jetzt mit teurer Energie versorgen muss und die Preissteigerungen an die Kunden weitergereicht werden«, sagte er der »Rheinischen Post«. In den Betrieben schnellen gerade Kosten in Serie hoch, wie Rukwied erläuterte: von Energie über Futter bis zu Dünger. Wichtiger Stickstoffdünger werde mit Gas hergestellt. Die Branche fordert deshalb, dass sie Priorität bei der Gasversorgung bekommt.

Bei der allgemeinen Inflation gehört Nahrung - nach Energie - zu den Preistreibern. So verteuerten sich Lebensmittel im Mai um 11,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Damit verstärkte sich der Preisauftrieb nach 8,6 Prozent im April noch einmal kräftig. Für Energie waren im Mai sogar 38,3 Prozent mehr zu zahlen. Insgesamt lagen die Verbraucherpreise um 7,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.

Tierhaltung

Alarmsignale sandte der Bauerntag zur Tierhaltung. Sie sei ein Rückgrat der Landwirtschaft, das nicht gebrochen werden dürfe, sondern stabilisiert werden müsse, mahnte Rukwied. Vor allem für Schweinehalter bestehe akute Gefahr - und es finde schon eine Produktionsverlagerung ins EU-Ausland wie nach Spanien statt. »Dieser Prozess muss gestoppt werden.« Die Koalition müsse jetzt eine verlässliche Finanzierung der Milliarden-Mehrkosten für mehr Tierwohl in den Ställen auf den Weg bringen. Im Moment scheitere dies an der mitregierenden FDP. Die Politik sei jetzt in der Pflicht.

Özdemir forderte ebenfalls Klarheit bei der Finanzierung, über die in der Koalition seit Wochen gestritten wird. Kosten für Investitionen und laufenden Mehraufwand könne man nicht von heute auf morgen am Markt erlösen, betonte der Minister in Lübeck. Es werde zwingend ein Finanzierungskonzept gebraucht. »Immer nur Nein sagen, geht nicht.« Und jeder Tag, an dem nichts passiere, verlängere das Höfesterben. Im Gespräch sind nach Empfehlungen einer Expertenkommission ein höherer Mehrwertsteuersatz oder eine Abgabe auf tierische Produkte. Özdemir hatte nach jahrelangen Diskussionen auch einen neuen Anlauf für eine staatliche Tierhaltungskennzeichnung für Fleisch gestartet.

Weitere Felder

Rukwied forderte weitere Schritte für die geplante Kennzeichnung, mit fünf Haltungsformen vom gesetzlichen Standard bis Bio, die mit Schweinefleisch im Handel starten soll. Sie müsse auch für Rindfleisch und etwa in der Systemgastronomie kommen - also großen Imbissketten. Rukwied beklagte Dumping-Angebote wie ein Kilogramm italienischen Spargel für drei Euro und appellierte an Kunden wie Handel, auf heimische saisonale Ware zu setzen.

Die FDP forderte mehr Handlungsspielraum für die Bauern. »Landwirte sind Unternehmer, die zur Ernährungssicherheit und zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele gleichermaßen beitragen können«, sagte Agrarexperte Gero Hocker. Dazu bräuchten sie Raum für unabhängige Entscheidungen und richtige Werkzeuge. Unter anderem eine ideologische Ablehnung moderner Pflanzenschutzmittel habe die Branche zurückgeworfen. »Dieser Zustand ist auch vor dem Hintergrund einer drohenden Hungerkrise in der Welt moralisch nicht mehr haltbar.«

© dpa-infocom, dpa:220614-99-655423/8