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Ökonom Fratzscher: Corona-Risiken werden unterschätzt

Die Konjunktur brummt, Arbeitslosenzahlen sinken, Menschen gehen wieder einkaufen - ist die Corona-Krise zumindest wirtschaftlich vorbei? Nein, sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sitzt während eines Interviews mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in seinem Büro. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sitzt während eines Interviews mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in seinem Büro. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

BERLIN. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält angesichts der andauenden Corona-Pandemie wirtschaftliche Risiken für unterschätzt. »Wir sehen die Lage zu sehr durch die rosarote Brille«, sagte Fratzscher der dpa in Berlin.

»Wenn in China ein Hafen zugemacht wird, weil es dort einen Corona-Ausbruch gibt, dann ist das auch für die deutsche Wirtschaft ein großes Problem, weil Lieferketten gestört werden. Die Pandemie ist noch nicht vorbei.«

Die deutsche Wirtschaft ist nach einem coronabedingten Einbruch im vergangenen Jahr wieder auf Wachstumskurs, getrieben vor allem vom Export. Belastend wirken aber Lieferengpässe bei wichtigem Materialien.

Lange, bis wir uns von dieser Pandemie wirtschaftlich erholt haben

Fratzscher sagte, ein weiteres Thema seien Unternehmensinsolvenzen. »Ich glaube, dass wir da die eine oder andere böse Überraschung erleben werden. Vielleicht nicht unbedingt in den nächsten Monaten, aber es sind einfach viele Unternehmen, die Rücklagen aufgebraucht haben, sich verschuldet haben, die vielleicht auch realisieren: sie haben nicht das richtige Geschäftsmodell, weil sich die Wirtschaft weiterentwickelt und verändert hat. Ich glaube, wir müssen immer mal wieder mit Rückschlägen in den nächsten zwei Jahren rechnen. Es wird lange brauchen, bis wir uns von dieser Pandemie wirtschaftlich gesehen erholt haben. Man wird immer mal wieder Kurzarbeitergeld brauchen und Unternehmenshilfen.« Bislang zeigt sich die befürchtete Welle an Firmenpleiten nicht in der amtlichen Statistik.

Der DIW-Präsident äußerte sich auch zur Inflationsrate. Im August lagen die Verbraucherpreise um 3,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. »Die höhere Inflationsrate ist eine willkommene Normalisierung der Preise«, sagte Fratzscher. »Nehmen Sie mal die Preisentwicklung von 2019, von 2020 und 2021 zusammen. Dann liegen wir im Durchschnitt deutlich unter den 2 Prozent, die wir als Preisstabilität definieren. Die Energiepreise sind letztes Jahr abgestürzt und Preise sind auch durch die temporäre Mehrwertsteuersenkung gesunken. Jetzt steigen sie wieder. Das sind Basiseffekte.«

Inflation werde dann problematisch, wenn sie sich verfestige. »Und wenn beispielsweise die Gewerkschaften sagen: Wir wollen jetzt wegen der Preisentwicklung jedes Jahr 10 Prozent Lohnerhöhung, und am Ende kommt man vielleicht bei 7 Prozent raus. Wenn so was passiert, dann ist es gefährlich. Aber davon sind wir meilenweit entfernt.«

Fratzscher sagte weiter: »Mittelfristig wäre eine hohe Inflation für mich eher ein Luxusproblem, weil die Inflation dann entsteht, wenn die Nachfrage höher ist als das Angebot. Wenn also die Menschen so viel konsumieren, so wenig sparen und die Unternehmen viel investieren und dann so wenig zurücklegen, dass eine so große Nachfrage entsteht, dass die Unternehmen gar nicht mit der Produktion nachkommen.« Falls sich die Inflation verstetige, werde die Europäischen Zentralbank reagieren und die Zinsen erhöhen. »Die EZB hat immer wieder gezeigt, dass sie die Stabilität der Preise und Finanzmärkte gewährleisten kann – das wird sie auch in der Zukunft tun.« (dpa)