SOLNA. Antibiotika-resistente Bakterien verursachen europaweit jährlich etwa 33.000 Todesfälle. Dies schätzen Experten nach der Auswertung von Daten, die unter anderem ein europäisches Netzwerk zur Beobachtung antimikrobieller Resistenzen (EARS-Net) im Jahr 2015 erhoben hatte.
In Deutschland starben demnach mehr als 2300 Menschen an einer Infektion, gegen die es keine oder nur wenige wirkende Antibiotika gibt. Die Zahl solcher Infektionen sei europaweit seit 2007 gestiegen, zwischen einzelnen Ländern gebe es teils erhebliche Unterschiede, berichtet die internationale Forschergruppe im Fachblatt »The Lancet Infectious Diseases«.
Das Team um Alessandro Cassini von der EU-Gesundheitsbehörde ECDC in Solna (Schweden) hatte Angaben aus 30 Ländern der Europäischen Union und des europäischen Wirtschaftsraumes ausgewertet. Sie konzentrierten sich dabei auf acht verschiedene Bakterienarten, die Resistenzen gegen einzelne oder Kombinationen von Antibiotika aufweisen. Diese verursachen etwa Harn- und Atemwegsinfekte, Infektionen der Blutbahn und an Operationswunden.
Bei Patienten, die sich mit solchen Keimen infizieren, schlagen die entsprechenden Antibiotika nicht an. Teils werden noch wirksame Antibiotika auch zu spät verabreicht, weil die Resistenzen nicht frühzeitig genug erkannt werden. Auch an sich harmlose Infektionen können dann schwer, schlimmstenfalls tödlich verlaufen. Die Forscher werteten auch Angaben aus früheren Studien aus, etwa zum Verlauf solcher Infektionen oder bleibenden gesundheitlichen Problemen.
Im Jahr 2015 traten demnach knapp 672.000 Infektionen mit den untersuchten Bakterien auf, 33.110 Menschen starben daran. Etwa drei Viertel der Erkrankungen mit antibiotikaresistenten Keimen wurden in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitssystems festgestellt, berichten die Forscher.
In 39 Prozent der betrachteten Fälle seien die Patienten mit einem Keim infiziert, gegen den auch Reserve-Antibiotika nichts mehr ausrichten können. Die Behandlung einer Infektion ist dann nur noch sehr schwer, teils gar nicht mehr möglich.
»Die Zahlen entsprechen etwa dem, was wir erwartet haben«, sagte Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Berliner Charité. »Die Forscher haben das solide und sorgfältig berechnet, aber grundsätzlich sind solche Modellierungen natürlich mit einigen Unwägbarkeiten behaftet.« So seien die Meldesysteme für auftretende Resistenzen in einzelnen Ländern unterschiedlich repräsentativ, auch die Studiendaten variierten in Qualität und Verfügbarkeit.
Grundsätzlich ist die Situation in den skandinavischen Ländern besser, in den Ländern Süd- und Südosteuropas eher problematisch, belegte die Analyse. Besonders viele Infektionen mit antibiotikaresistenten Erregern gibt es demnach in Griechenland und Italien. Deutschland liegt im unteren Drittel, was die Zahl der Infektionen und Todesfälle angeht.
Es sei davon auszugehen, dass sich die Situation zumindest hierzulande seit 2015 nicht entscheidend verändert habe, sagte Gastmeier. Was mögliche Verbesserungen anbelangt, sei auch in Deutschland noch Luft nach oben. »Wir brauchen vor allem noch mehr Aufmerksamkeit, was die Zahl der Antibiotika-Verschreibungen angeht, die ist noch immer zu hoch.« Das betreffe sowohl den klinischen Bereich als auch die niedergelassenen Ärzte.
Auch bei vielen Patienten sei noch nicht angekommen, wie wichtig es ist, den Einsatz von Antibiotika auf die wirklich nötigen Fälle zu beschränken. »Wir haben 2015 eine Umfrage gemacht, die zum Beispiel gezeigt hat, dass viele Menschen den Unterschied zwischen Bakterien und Viren nicht kennen. Das ist aber wichtig zu verstehen, weil Antibiotika gegen Infektionen, die von Viren verursacht werden, nicht helfen.«
Grundsätzlich seien alle Altersgruppen von Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen betroffen, schreiben die Forscher in dem Fachmagazin weiter. Besonders häufig seien sie aber bei Kleinkindern unter einem Jahr sowie bei älteren Menschen über 65 Jahren.
Um die Situation zu verbessern, seien gemeinsame Anstrengungen nötig. Antibiotika sollten nur dann verschrieben und eingenommen werden, wenn sie wirklich nötig sind. Zudem müssten bestehende Hygienevorschriften, vor allem in Krankenhäusern, eingehalten werden. Schließlich brauche es mehr Forschung, um neue antibiotisch wirkende Substanzen zu entwickeln.
Die EU-Kommission erinnerte am Dienstag daran, dass sie im Juni 2017 einen neuen Aktionsplan im Kampf gegen die Ausbreitung resistenter Keime beschlossen habe. Dieser sei sehr ehrgeizig, sagte eine Sprecherin. Er ziele darauf ab, die EU zu einer Region zu machen, in der höchste Standards gesetzt werden. (dpa)