KLAIS. Das Gebäude liegt mystisch auf einem Hügel mitten im Wald oberhalb des historischen Mary-Portman-Hauses in Klais. Eine Ornithologin mietet es hin und wieder am Abend für ein oder zwei Stunden. Dann sitzt die Vogelkundlerin hinter der bodentiefen Glasfront, blickt auf nichts anderes als Bäume und beobachtet Eulen, die sie sonst nie zu sehen bekäme. Denn hier oben herrscht absolute Ruhe und Einsamkeit.
So soll es auch sein. Der japanische Stararchitekt Kengo Kuma hat ganz bewusst umringt von Tannen und Farnen ein einzigartiges Meditationshaus gebaut. Es ist sein erstes Werk in Deutschland. Und es entstand auf kuriose Art und Weise. Der im Mai 2023 verstorbene Hotelbesitzer Jakob Edinger wollte seinen Gästen einen Aufenthaltsort bieten, »in dem sie sich erden können und mit der Natur in Einklang sind«. Kein Geringerer als Kengo Kuma kam als Architekt infrage. Denn in Japan baut man schon seit Jahrhunderten edle Holzhäuser.
Das Portman-Haus
Die Britin Mary Portman kommt 1913 mit der Pferdekutsche auf dem Plateau der Kranzbachwiese vorbei. Beeindruckt vom Blick auf Karwendel und Wetterstein beschließt sie, hier ihr Countryhouse als Rückzugsort für ihre Künstlerfreunde zu bauen. Die Architekten Blow und Billerey liefern die Pläne. 1931 pachtet die Evangelische Kirche Dortmund das Haus als Erholungsstätte. 2003 kauft eine Familienstiftung aus Österreich die Anlage. 2007 wird das Kranzbach eröffnet, 2018 das Meditationshaus. (fs)
Mit einem Brief auf Japanisch fing alles an
Doch wie den Asiaten für sein Projekt gewinnen? Edinger holte seinen Sohn David ins Boot, der selbst Architekt ist. Eine Mitarbeiterin von David Edinger, die Japanisch sprechen kann, schrieb einen freundlichen Brief an Kengo Kuma nach Tokio. Und tatsächlich: Der Meisterarchitekt biss an und besuchte Edinger. Gemeinsam liefen sie zwei Stunden durch den Wald beim Hotel Kranzbach, dann stand der Standort fest. 1550 Schindeln aus Weißtanne wurden verarbeitet. Das Dach ist aus Zink, und die bodentiefe Verglasung lässt das Meditationshaus mit den Bäumen verschmelzen.
Schon beim Bau wurde sorgsam auf die Natur geachtet. Die Weißtannen stammen allesamt aus dem oberhalb von Garmisch-Partenkirchen gelegenen Wald. Mit Pferden wurden die gefällten Stämme im Winter zum Bauplatz auf die Waldlichtung gezogen, um sie zu Schindeln zu verarbeiten. Auf dem schneebedeckten Boden konnten die Schäden im Wirtschaftswald beim Transport relativ gering gehalten werden. Aber warum fiel die Wahl ausgerechnet auf die Weißtanne? Kuma sagt: »Das beste Baumaterial ist das, was hinter einem Haus wächst.« Zumal das heimische Holz ein besonders sanftes Material ist.
Wenn die ärztliche Leiterin Dr. Christine Müller die Hotelgäste bei einer Führung in das Meditationshaus bringt, erlebt sie auch Jahre nach der Eröffnung immer noch besondere Reaktionen. »Als ich den Gong anschlug, hat eine Frau plötzlich zu weinen angefangen«, erzählt die Medizinerin, die selbst Kurse in Zen-Meditation gibt. Auch Rose, die ein Faible für stilvolle Gebäude hat und deshalb eigens aus Reutlingen angereist ist, sagt: »Der Gongschlag hat was mit mir gemacht. Es war, als ob mich ein Lichtstrom durchfährt!« Für Waltraud aus der Steiermark wiederum fühlt es sich »wie magisch an«, wenn sie das Meditationshaus auf sich wirken lässt. Andrei, ein IT-Experte aus Perm in Russland, findet eher nüchterne Worte: »Es ist sehr interessant, wenn man nach draußen schaut und nichts außer Wald sieht.«
Im Innern des 160 Quadratmeter großen Pavillons stehen nur ein großer Gong und eine Schale mit einer kleinen Pflanze. Im Nebenraum gibt es eine japanische Teelounge mit traditionellem Tatami-Boden und einer Naturfasertapete. Christine Müller berichtet, dass es seit der Einweihung des Baus von Kengo Kuma »auch einen kleinen Architekturtourismus zu uns gibt«. So mancher Besucher übernachte nur deshalb im Kranzbach, um das Meditationshaus besichtigen zu können. Denn es ist ausschließlich für Hotelgäste zugänglich. Und in Deutschland gibt es kein anderes Bauwerk des japanischen Meisters zu sehen.
Kengo Kuma baute das Olympiastadion in Tokio
Dabei ist Kengo Kuma spätestens seit der Eröffnung des von ihm entworfenen Victoria & Albert Museum in der schottischen Hafenstadt Dundee auch in Europa ein hoch gehandelter Name in der Architekturszene. Von Japan ganz zu schweigen: Dort hat er unter anderem das Olympiastadion in Tokio gebaut. Kein Wunder, dass ihm die Bundeskunsthalle in Bonn im Jahr 2024 eine eigene Ausstellung gewidmet hat. Bereits im Mai 2023 sprach er im Naturtheater Reutlingen bei einem deutsch-japanischen Symposium zum Thema »Holzbauarchitektur für eine zweite Moderne« und wie Holzbau-Architektur einen innovativen Beitrag zu Ökologie und erdbebensicherem Bauen leisten kann. Auch mit der Rottenburger Hochschule für Forstwirtschaft arbeitet Kuma seit Jahren zusammen.
Amüsant übrigens eine Episode aus den Anfangstagen des Meditationshauses im oberbayrischen Wald. Hotelchef Edinger wollte seinem Architekten eine besondere Ehrerbietung erweisen und kaufte für ihn eigenes ein Futonbett und eine Stablampe. Die ließ er in dem kleinen Holztempel aufstellen und bot Kengo Kuma an, dass er nach der Eröffnungsfeier im Jahr 2018 die erste Nacht dort als einziger schlafen könne. Doch der Meister lehnte höflich ab. Er bevorzuge den Luxus eines schönen Hotelzimmers, lautete seine Antwort. Statt auf den Wald blickte er lieber auf die imposante Kulisse von Karwendelmassiv und Wettersteingebirge. (GEA)