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Warum Ostern nicht gleich Weihnachten ist

Die nächsten Feiertage stehen an, die Corona-Zahlen steigen und die Politik zieht wieder die Zügel an. Zu Ostern wiederholt sich die Lage wie vor Weihnachten, scheint es. Doch diesmal sind die Sorgen anders.

Corona an Schulen
Eine Schülerin einer vierten Klasse hält während eines selbst durchgeführten Coronatests ihr Teströhrchen mit ihrer Speichelprobe in den Händen. Foto: Matthias Balk/dpa
Eine Schülerin einer vierten Klasse hält während eines selbst durchgeführten Coronatests ihr Teströhrchen mit ihrer Speichelprobe in den Händen. Foto: Matthias Balk/dpa

BERLIN. B.1.1.7 ist für das menschliche Auge zwar genauso unsichtbar wie alle anderen Coronavirus-Varianten. Doch wirft die Mutante einen Schatten auf unser Osterfest.

Mittlerweile geht das Gros der Corona-Fälle in Deutschland auf den zuerst in Großbritannien nachgewiesenen Virustyp zurück. Und der gilt als deutlich ansteckender als das ursprüngliche Virus. Zudem verursacht er schwerere Krankheitsverläufe - auch bei jüngeren Menschen.

Deswegen mahnen Experten: Die Lage jetzt ist nicht ohne weiteres mit der vor Weihnachten vergleichbar. Sollte es zu ähnlich hohen Fallzahlen wie damals kommen, hätte das nun weitreichendere Folgen. Zumal Corona-Ausbrüche laut Robert Koch-Institut (RKI) momentan insbesondere private Haushalte sowie zunehmend auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld betreffen.

Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, Eva Grill, erwartet bei steigenden Corona-Zahlen mehr schwere Krankheitsverläufe bei jüngeren Menschen. »Wir sehen einen Rückgang der Todesfälle bei den Hochaltrigen. Das deutet darauf hin, dass es zunehmend gelingt, die besonders vulnerablen Gruppen durch Impfung zu schützen«, erläutert sie. Aber auch bei den 60- bis 69-Jährigen liege das Sterberisiko der Infizierten noch bei etwa vier Prozent.

Anders als das ursprüngliche Virus breite sich B.1.1.7 auch schneller innerhalb von Familien aus, macht der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr deutlich. Bei der Mutante sei schnell die ganze Familie infiziert, wohingegen früher selbst enge Angehörige nicht immer angesteckt wurden. Zudem seien die Gesamtzahlen derzeit noch ansteigend. Bei dieser Kombination sei die Lage brisant. »Das ist ein Pulverfass, auf dem wir sitzen.«

Hohe Infektionsraten bei Jüngeren führten zu mehr Ausfällen, verdeutlicht Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Das liege allein schon daran, dass mehr Kontaktpersonen in Quarantäne müssten und das Umfeld - im Job oder in der Familie - bei Jüngeren, Berufstätigen, Eltern größer sei. »Und sicher ist es auch so, dass der Anstieg bei Kindern in Kitas und Schulen ebenfalls diese Konsequenzen hat.« Mehr Tests sollten daher vor allem dafür sorgen, dass Fälle früher erkannt und so aus dem Geschehen genommen werden können, erklärt der Wissenschaftler.

Das RKI mahnt, es sei »weiterhin unbedingt notwendig«, sich am Arbeitsplatz konsequent vor Infektionen zu schützen. Die gesamte Bevölkerung müsse wachsam sein, Abstands- und Hygieneregeln - auch im Freien - einhalten, Innenräume lüften, wo geboten Masken tragen und Menschenansammlungen - besonders in Innenräumen - möglichst meiden. Auch in Kitas und Schulen sollten Ausbrüche verhindert werden.

Anders als Ende 2020 sind zwar inzwischen viele Menschen aus der besonders gefährdeten höchsten Altersgruppe geimpft - worauf alle Experten hinweisen. Die Inzidenz falle dort auch besonders ab, sagt Zeeb. »Eine sehr gute Nachricht.« Allerdings liege der Anteil der Geimpften bei den Über-70-Jährigen insgesamt erst bei gut einem Viertel, erklärt der Saarbrücker Forscher Lehr. »Es sind also ziemlich viele noch nicht geimpft. Und bis Ostern wird sich daran wohl auch nicht viel ändern.«

Zudem dauere es ein paar Wochen, bis die Wirkung richtig einsetze. Daher könne hier noch keine Entwarnung gegeben werden, warnt Lehr. »Wir haben also ein bisschen Entschärfung durch die Impfung, aber eine Verschärfung durch die Mutanten«, bilanziert er.

Weiterhin sei das Alter einer der wichtigsten Risikofaktoren, an Corona zu sterben, erläutert der Präsident der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx. »Für die dritte Welle erwarten wir aber einen deutlich jüngeren Altersdurchschnitt, da die 80-Jährigen zum Großteil geimpft sind.« Mehr als drei Viertel der Intensivpatienten seien derzeit unter 80 Jahre alt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht aufgrund des zunehmenden Impfschutzes immerhin einen positiven Punkt: Sollten wir vergleichbar hohe Inzidenzzahlen bekommen wie Weihnachten, werden die schweren Verläufe dennoch weniger häufig sein als in der zweiten Welle. Damals erreichte Deutschland knapp 200 Infektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz).

Epidemiologin Grill sagt, neben der Überlastung des Gesundheitssystems sollte man auch andere Folgen der Sars-CoV-2-Infektion berücksichtigen. So leide etwa jeder zehnte Erkrankte noch Monate lang am sogenannten Post-Covid-Syndrom mit Symptomen wie Atemnot, Müdigkeit und kognitiven Einschränkungen.

Zeeb und Lehr plädieren dafür, künftig auch die Wirkung einzelner Maßnahmen etwa in Betrieben, Schulen und Kitas genauer unter die Lupe zu nehmen. Nur dann könne man sinnvoll darüber entscheiden, welche Wege zum Ziel führen und die Pandemie wirklich bekämpfen. Weiter sagt Zeeb: »Unbedingt wichtig werden auch Maßzahlen, die sich damit auseinandersetzen, wie unterschiedlich soziale Gruppen betroffen sind, sowohl von Infektionen als auch von vielen der Maßnahmen.« (dpa)