Sean Connery schickte als James Bond »Liebesgrüße aus Moskau«, Siw Malmkvist sang den Nummer-eins-Hit »Liebeskummer lohnt sich nicht« und der Pädagoge Georg Picht sah einen Lehrermangel kommen und versetzte die deutsche Öffentlichkeit mit dem Begriff der drohenden »Bildungskatastrophe« in Alarmstimmung: Die Rede ist von 1964, dem bekanntlich geburtenstärksten Jahrgang der Bundesrepublik (Stichwort: Boomer).
1964 war auch das Jahr, in dem die Kultusministerkonferenz (KMK) das (inzwischen ersetzte) Hamburger Abkommen beschloss. Es prägte Generationen, lenkte viele Lebensläufe.
Erst seit 60 Jahren ist der Schuljahresbeginn einheitlich geregelt
Bitte was? Hamburger Abkommen? Einfluss auf Millionen Menschen? Aber ja. »Das Hamburger Abkommen stellte eine der folgenreichsten Entscheidungen in der deutschen Bildungspolitik dar«, sagt Torsten Heil, Pressesprecher des Sekretariats der KMK.
Der Beschluss vom 28. Oktober 1964 leitete eine Vereinheitlichung des Schulwesens ein. Die Regelungen waren zuvor recht unterschiedlich in den Bundesländern. Im Hamburger Abkommen ging es unter anderem um gemeinsame Regeln zu Schulferien und Schularten.
So wurde der Beginn des Schuljahres einheitlich auf den Spätsommer gelegt. Bis dahin fing das Schuljahr in fast allen Bundesländern im Frühjahr an, nach Ostern - und nicht etwa am Beginn des kalendarischen Jahres, was ja auch eine Option wäre. Die einzelnen Länder stellten bis 1967 ihre Schuljahre um, indem es Kurzschuljahre oder Langschuljahre gab. Im Gebiet der DDR begann das Schuljahr schon lange im Sommer - im Westen nur in Bayern.
Menschen um die 70 im Westen kennen Kurzschuljahre
Das Hamburger Abkommen bescherte Abc-Schützen die Einschulung im August oder September. Zudem wurden Schulbezeichnungen vereinheitlicht, so hieß es nun etwa Grundschule statt Volksschule. Auf sie folgte dann die Hauptschule, Realschule oder das Gymnasium. Englisch ab Klasse 5 wurde eingeführt.
Genauer gesagt: Geregelt wurde die Fremdsprachenfolge und dass die erste Fremdsprache ab dem fünften Jahrgang begonnen werden sollte, die zweite am Gymnasium im siebten.
Im Sommer 1964 hatten die drei bevölkerungsreichsten Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg noch parallel große Ferien - von Ende Juli bis Anfang September. Doch das sollte schon bald nicht mehr passieren.
Gestaffelte Sommerferien wurden 1964 erfunden
Im Hamburger Abkommen vereinbarten die Bundesländer, die Sommerferien zu staffeln. Fortan sollten sie gruppenweise an verschiedenen Terminen in sechswöchige Sommerferien starten, um Staus auf den Straßen und Knappheit bei den Ferienunterkünften zu vermeiden. In der DDR gab es für alle Schülerinnen und Schüler gleichzeitig im Juli und August Ferien.
Die aktuelle Nachfolgeregelung für die großen Ferien ist aus dem Jahr 2021 (»Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen«). Laut ihr darf ein Zeitraum zwischen dem 20. Juni und dem 15. September ausgeschöpft werden.
Bayern und Baden-Württemberg - Ländergruppe V (fünf) - haben stets als letzte Sommerferien, da sie - so die Begründung - traditionell Pfingstferien haben und der Lern- und Prüfungszeitraum danach bis zu den großen Ferien ausreichend lang sein soll.
Schule ist hierzulande - historisch gewachsen - sehr kompliziert, Kultur und Bildung sind in Deutschland eben föderal organisiert. So war es schon im Kaiserreich. Vereinfacht gesagt begann das deutsche Schuljahr seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Frühjahr (Ostern), ab 1920 war das auch in Bayern der Fall.
Bayern scherte immer wieder gerne aus
Die Nazis drehten ab 1933 an allem - auch am Schulsystem. Im Jahr 1941, mitten im Krieg, wurde beschlossen, das Schuljahr habe im gesamten Deutschen Reich im September zu beginnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Regelung weitgehend wieder rückgängig gemacht. Die westlichen Besatzungsmächte forcierten das. Die sowjetische Besatzungszone (später DDR) blieb beim September. Im Westen hielt nur Bayern daran fest.
Die meisten europäischen Länder lassen das Schuljahr traditionell nach den Sommerferien beginnen. Vor 60 Jahren war es dann so weit, dass auch der Rest der Bundesrepublik allmählich Anschluss an die Nachbarländer fand. Es war das Ende einer Sonderrolle.
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