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Warten auf den Bescheid zum Wiederaufbau an der Ahr

Bald jährt sich die Flutkatastrophe im Ahrtal zum zweiten Mal. Inzwischen macht sich bei den Menschen Erschöpfung und Mutlosigkeit breit. Hier und da gibt es aber auch Zuversicht - und neue Probleme.

Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe im Ahrtal
Noch immer zeugt die Ruine eines Hauses in Mayschoß von der Wucht der Wassermassen. Foto: Boris Roessler
Noch immer zeugt die Ruine eines Hauses in Mayschoß von der Wucht der Wassermassen.
Foto: Boris Roessler

Bernd Gasper ist fast zwei Jahre nach der Ahrflut mit mindestens 134 Toten - darunter seine Schwiegermutter - an einem Tiefpunkt. Den 70-Jährigen und seine Frau Brigitte quälen schlimme Zukunftssorgen. In ihrem Ausweichquartier in der Nähe von Bonn warten sie auf die Bewilligung ihres im November 2021 bei der Investitions- und Strukturbank (ISB) gestellten Antrags auf Geld aus dem Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern - zunehmend verzweifelt. Sie möchten nach dem Abriss ihres Hauses, das in den stinkenden Wassermassen zerstört worden war, etwas weiter weg vom Fluss in ihrem Heimatort Altenburg wieder aufbauen.

Bernds älterer Bruder Gerd (81) hat mit dem Geld seiner Versicherung nur einen Steinwurf entfernt wieder aufgebaut. Die Ölheizung hat er auf Gas umgestellt, gerade wird ein Solarpanel für Heißwasser auf dem Dach angebracht - und die Fassade gedämmt. »Ist leer geworden«, sagt der 81-Jährige mit Blick auf zwei erst kürzlich abgerissene Häuser auf den Nachbargrundstücken. »Das Leben ist noch nicht zurückgekehrt.« Aber sein Neffe sei bereits wieder da und die Schwägerin werde wohl im Spätsommer wieder in ihr Haus einziehen. »So hat man wieder ein bisschen Ansprache.« Und: »Die Zuversicht wächst.«

Ganz anders bei seinem Bruder: »Wir brauchen den endgültigen Bescheid von der ISB, um damit bei den Hilfsorganisationen noch zusätzliche Gelder zu bekommen, denn mit dem von der ISB angebotenen Geld ist ein Neuanfang nicht zu stemmen«, sagt Bernd Gasper. »Wir haben schon fünf Termine wegen des immer wieder zugesagten aber nicht erstellten endgültigen Bescheides bei den Hilfsorganisationen absagen müssen.« Die Flutnacht Mitte Juli 2021 hatte das Ehepaar in Todesangst auf seinem Hausdach überlebt - geblieben ist ihnen nichts. Das Elternhaus von Bernd und Gerd Gasper musste gleich nach der Katastrophe abgerissen werden.

Bei Bernd Gapsers Antrag handle es sich um ein »Ersatzbauvorhaben«, weil er nicht an derselben Stelle - in unmittelbarer Nähe zur Ahr - wieder bauen will, heißt es bei der ISB. »Diese Vorhaben setzen sich von der Bearbeitung der Anträge auf Aufbauhilfe bei Gebäudeschäden ab - sie sind komplexer und benötigen eine längere Bearbeitungszeit.«

Brief an Merkels Büro bisher unbeantwortet

»Unbürokratische schnelle Hilfe haben sie uns versprochen«, sagt der 70-Jährige hingegen bitter und zeigt auf die Stelle nahe der Ahr, an der er nach der Katastrophe mit der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesprochen hat, im Beisein von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). »Damals habe ich ihnen geglaubt. Mittlerweile hat uns die Realität eingeholt.« Sein Brief an Merkels Büro sei bisher unbeantwortet geblieben. Jetzt habe er sich auch hilfesuchend an die Staatskanzlei in Mainz gewandt.

Winzer Alexander von Stodden aus dem Wein-Ort Rech muss bei den Milliarden Euro im Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern immer wieder an einen Ablassbrief denken. »Es ist erschreckend, wie langsam das geht«, sagt Stodden, der auch in der Kommunalpolitik aktiv ist. Es fehle ein Konzept für den Wiederaufbau. Anfangs habe er gesagt, es dauert fünf Jahre bis Außenstehende nichts mehr sehen, und zehn Jahre, bis wir nichts mehr sehen. Das halte er nicht mehr für erreichbar. »Man merkt richtig, dass die Luft raus ist - und es kommt Frust auf.« Der Winzer befürchtet: »Der Gast guckt sich das noch eine Weile an, dann kommt er nicht mehr.«

Ahr-Landrätin Cornelia Weigand beschreibt die Stimmung so: »Viele Leute sind einfach sehr, sehr erschöpft. Das ist auch ganz normal.« Die parteilose Politikerin, die in der Flutnacht noch Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr war - zu der Rech und Altenburg gehören - berichtet: »Viele Menschen im Ahrtal werden im Angesicht der zu bewältigenden Flutfolgen deshalb zu Einzelkämpfern, weil jeder – auch Nachbarn und Freunde – mit dem eigenen Aufbau zu tun hat und man sich nur bedingt gegenseitig unterstützen kann. Weil sie alle denselben Kampf kämpfen.«

Streit um beschädigte Nepomukbrücke

Ganz in der Nähe von Stoddens Familienbetrieb von 1900 - dem renommierten Rotweingut Jean Stodden - stehen die Reste der bei der Flut stark beschädigten Nepomukbrücke von 1723, die eigentlich abgerissen werden soll. Dagegen hat sich Widerstand von Denkmalschützern vor allem außerhalb des Ahrtals formiert, der Ortsbürgermeister trat in dem Streit zurück. »Wenn die Brücke nicht abgerissen werden kann, ist das Dorf tot, weil es nicht weiter entwickelt werden kann«, sagt Stodden. »Wer sagt denn, dass wir heute keine Denkmäler mehr bauen können?«

Hotelier und Gastronom Wolfgang Ewers aus Insul sagt: »Die Brücke ist zwar alt, aber hätten die damals schon gewusst, wie man eine Spannbrücke baut, hätten sie die auch gebaut. Und jetzt ist die Brücke sowieso kaputt.« Insul liegt etwa 25 Kilometer ahraufwärts.

»Wir sind ausgelastet«, freut sich Ewers über sein wieder florierendes Geschäft. Sein Problem sei aber neben den gestiegenen Preisen vor allem der Fachkräftemangel: »Wir finden kein Personal.« Viele Gäste - alte und neue - kämen wegen der Großveranstaltungen auf dem Nürburgring. Auch Wanderer vom höher gelegenen Ahrsteig schauten vorbei oder Radfahrer, denn der Radweg sei inzwischen wieder bis Altenahr befahrbar, bis zum Rhein allerdings noch nicht. »Und der Zug fehlt noch. Bin gespannt, wann der wieder durchs ganze Tal fahren wird.«

© dpa-infocom, dpa:230521-99-767936/2