Logo
Aktuell Panorama

Virusgefahr unterschätzt: Auch Jüngere auf Intensivstation

Vor allem ältere und vorerkrankte Menschen seien in Gefahr, hieß es. Doch immer deutlicher wird: Das Coronavirus kann auch Jüngere massiv treffen. Insgesamt sei die Gefahr durch das Virus, so räumt ein Mediziner ein, von Politik und Wissenschaft unterschätzt worden.

München (dpa) - Auf den Intensivstationen auch in Deutschland werden immer öfter junge mit dem Coronavirus infizierte Patienten behandelt. Das habe sich in Italien gezeigt - und »das ist ein Bild, das sich auch in Deutschland ergibt«, sagt der Chefarzt Clemens Wendtner von der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing. »Die jüngsten symptomatischen Covid-19-Patienten waren Anfang 20 Jahre alt. Insgesamt sehen wir das ganze demografische Altersspektrum, egal ob auf Normalstation oder Intensivstation.« Wendtner hatte in der Schwabinger Klinik Ende Januar bereits die ersten mit dem Sars-CoV-2-Virus infizierten Patienten in Deutschland behandelt.

»Auch ein junger Patient ist nicht gefeit davor, einen schweren Verlauf zu haben«, warnt der Mediziner. »Das soll wachrütteln, dass man sich an die Hygienevorschriften und Regelungen hält.« Die Gefahr durch das neuartige Virus sei anfangs unterschätzt worden - von der Politik wie auch von der Wissenschaft, räumte der Mediziner ein.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) appellierte an junge Menschen, sich während der Corona-Krise an die strengen Ausgangsbeschränkungen zu halten. »Ich habe eine Botschaft für junge Leute«, hatte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus am Freitag in Genf gesagt. »Ihr seid nicht unbesiegbar.«

Zwar bestehe für ältere Menschen die größte Gefahr, sich mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 anzustecken und die Lungenkrankheit Covid-19 zu entwickeln. »Aber es geht nicht an den Jungen vorbei«, sagte Tedros. »Dieses Virus kann auch für euch einen wochenlangen Krankenhausaufenthalt bedeuten, oder es kann euch töten.« Alle Menschen müssten zusammenstehen, über Landesgrenzen und Generationen hinweg. »Solidarität, Solidarität, Solidarität« forderte Tedros.

Eine Gefahr sind derzeit auch unerkannte Fälle - und die Dunkelziffer steigt. Wendtner geht davon aus, dass in Italien zehn Mal so viele Menschen infiziert sind wie offiziell gemeldet. So erkläre sich auch die hohe Sterblichkeitsrate von deutlich über fünf Prozent. In Deutschland könnten schon fünfmal mehr Menschen infiziert sein als registriert. Hierzulande liegt zwar die Sterblichkeit noch bei deutlich unter einem Prozent. Die Sterblichkeitsrate könnte jedoch ähnlich wie in anderen Ländern durchaus noch ansteigen.

Dennoch blieb der Infektiologe zuversichtlich, dass das deutsche Gesundheitssystem die Krise bewältigen kann. »Wir tun alles, damit wir in Deutschland nicht Verhältnisse bekommen wie wir sie jetzt in Italien sehen. Wir haben einen gewissen zeitlichen Vorsprung gegenüber den italienischen Kollegen.« Es gehe dabei um etwa zwei Wochen, die nun genutzt würden, um Pandemiezonen zu definieren und Gerätschaften wie auch Personal aufzurüsten. Denn die Patientenzahlen steigen. »Die Welle ist quasi schon im Anschwappen«, sagte Wendtner. »Wir bereiten uns auf dieses Szenario vor.«

Besonders gefährdet seien neben Älteren und Kranken auch allgemein gesunde Patienten mit vorgeschädigter Lunge, also etwa langjährige Raucher und Asthmapatienten, erläuterte der Arzt. Aber auch Diabetiker und Menschen mit Bluthochdruck seien betroffen, da damit auch wichtige Organe wie die Lunge weniger gut versorgt würden.

Simulationen und epidemiologische Modelle legten nahe, dass die Effekte der Schul- und Ladenschließungen frühestens nach drei Wochen greifen, sagte Wendtner. Ein Ende der Krise sei kaum absehbar. »Wie lange sich das Geschehen insgesamt hinziehen wird, dies kann derzeit keiner seriös vorhersagen.« Allerdings halte er eine Dauer von mehreren Monaten bis zum Spätsommer für realistisch.