FRITZLAR/KIEL. Wegen mehrerer Todesfälle in einer nordhessischen Klinik sitzt eine mutmaßlich falsche Ärztin in Untersuchungshaft. Die Frau soll ohne entsprechende Ausbildung Patienten betäubt haben.
»Durch fehlerhafte Anästhesien soll sie in vier Fällen den Tod der Patienten verursacht haben; in acht weiteren Fällen sollen Gesundheitsschäden eingetreten sein«, sagte Götz Wied, Sprecher der Staatsanwaltschaft Kassel. Zuvor hatten Medien darüber berichtet.
Die Frau war von 2015 bis 2018 als Assistenzärztin in einer Klinik im nordhessischen Fritzlar tätig. Doch die 48-Jährige hatte laut Gutachten nicht die erforderlichen Fachkenntnisse. Sie habe nicht einmal eine ärztliche Zulassung. Die Ermittler werfen ihr vor, Fehler bei der Behandlung gemacht zu haben. Beispielsweise habe sie eine Atemnot des Patienten nicht rechtzeitig erkannt und die Verabreichung falscher Medikamente während Operationen zu verantworten.
Zunächst war gegen die 48-Jährige nur ermittelt worden, weil sie sich mit gefälschten Unterlagen in der Klinik beworben haben soll. Doch bei einer Durchsuchung im Januar stießen die Behörden auf weitere Beweise. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln nun unter anderem wegen des Verdachts des Totschlags, gefährlicher Körperverletzung, Urkundenfälschung, Betruges und des Missbrauchs von Titeln.
Am Dienstag kam die Frau in Untersuchungshaft. Gleichzeitig gab es Durchsuchungen mit mehr als 50 Polizeibeamten in drei Bundesländern: Neben der Klinik in Hessen wurden die Privaträume der Frau durchsucht, die zuletzt in Kiel (Schleswig-Holstein) wohnte. Außerdem wurden Arbeitsplätze von zwei Medizinern in Hessen und in Brandenburg durchsucht. Es werde geprüft, ob die damals in der Klinik tätigen Ärzte ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, indem sie die Frau als Anästhesistin trotz mangelhafter Leistungen weiter arbeiten ließen.
Ob es weitere Opfer gibt, prüfen die Ermittler. Keine konkreten Angaben machten sie zunächst dazu, wie die Frau aufflog. Auch das Krankenhaus äußerte sich zunächst nicht zu den Ermittlungen. Das Krankenhaus selbst bestätigte die Ermittlungen: »Es wurden weitere Akten eingefordert, in denen die Frau eine Rolle spielt«, sagte Geschäftsführer Sven Ricks der »Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen« (HNA).
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte angesichts der Vorwürfe mehr Transparenz. »Der Krankenhausträger muss von sich aus in der Dokumentation überprüfen, welche Patienten von dieser Ärztin betreut worden sind und ob es Auffälligkeiten in der Nachsorge gab«, sagte Vorstand Eugen Brysch. Das Krankenhaus hätte von sich aus diese Patienten kontaktieren müssen. »Ob das Geschehen ist, kann ich nicht beurteilen.« Es sei aber überfällig, dass der Krankenhausträger jetzt die breite Öffentlichkeit informiere: »Wenn Ermittlungen wegen Todesfällen im Raum stehen, sind maximale Transparenz und der Kontakt zur Öffentlichkeit dringend notwendig.«
Zudem sei es angesichts von 17 Landesärztekammern in Deutschland für vermeintliche Ärzte sehr leicht, fehlende Zulassungen zu verschleiern. »Es ist an der Zeit, das die Approbation eines Arztes zentral archiviert wird und es eine Stelle gibt, wo Krankenhausträger verpflichtet sind, diese abzufragen«, sagte Brysch. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) müsse auf die deutsche Ärzteschaft zugehen, »um die Kleinstaaterei in dieser Frage zu beenden«.
Immer wieder schaffen es Betrüger, bundesweit Kliniken zu täuschen. Laut einer Auswertung des Landkriminalamtes in Wiesbaden gab es seit dem Jahr 2014 mindestens zwölf Fälle allein in Hessen, davon sieben in Praxen und fünf in Kliniken. (dpa)