Ein mit Hunderten Fahrgästen besetzter Schnellzug ist in Tschechien in einen entgegenkommenden Güterzug gekracht. Bei dem heftigen Zusammenstoß in der Nacht bei Pardubice kamen vier Menschen ums Leben, wie Innenminister Vit Rakusan an der Unglücksstelle sagte. 27 Menschen wurden den Angaben zufolge im Krankenhaus behandelt, von denen fünf mittelschwer und die übrigen leicht verletzt wurden. Bei den Toten handelte es sich nach Angaben der Agentur CTK um zwei Frauen aus der Ukraine und zwei aus der Slowakei.
Zahlreiche Rettungskräfte wie Feuerwehrleute, Sanitäter und Ärzte sowie zwei Rettungshubschrauber eilten zum Unglücksort, der rund 100 Kilometer östlich von Prag liegt. Dort waren die Lokomotiven beider Züge frontal zusammengestoßen. Fast komplett zerstört wurde der erste Wagen des Personenzugs, der sich direkt hinter der Lok befand. Auf Bildern war zu sehen, dass die Bahn entgleiste und zusammengedrückt wurde. Der Sachschaden wurde auf umgerechnet mehr als viereinhalb Millionen Euro geschätzt.
Viele Ukrainer auf dem Weg in die Heimat
Der nächtliche Schnellzug des privaten Bahnunternehmens Regiojet war auf dem Weg von Prag ins slowakische Kosice gewesen und gerade eine Stunde unterwegs, als es zu dem Unglück kam. An Bord waren nach Angaben der Feuerwehr rund 380 Passagiere. Viele Ukrainer nutzen die Verbindung über die Slowakei weiter nach Tschop im äußersten Westen der Ukraine, um ihr Heimatland zu besuchen. Die unverletzten Fahrgäste wurden mit Bussen in Notunterkünfte gebracht. Der Betreiber Regiojet stellte Entschädigungen in Aussicht.
Der Güterzug hatte nach Angaben der Feuerwehr die ätzende Chemikalie Calciumcarbid geladen, die mit Wasser entzündliche Gase bildet. »Zum Glück waren die ersten beiden Wagen leer, sodass es nicht zu einem Austritt des gefährlichen Stoffes kam«, teilte Feuerwehrsprecherin Vendula Horakova mit.
Personenzug soll Haltesignal überfahren haben
Verkehrsminister Martin Kupka äußerte sich zur mutmaßlichen Unglücksursache. Nach den Erkenntnissen der Eisenbahn-Inspektion habe der Personen-Expresszug ein Haltesignal überfahren. »Ob es sich um einen technischen Defekt, einen menschlichen Fehler oder eine Kombination beider Faktoren handelte, ist Gegenstand detaillierter Untersuchungen«, teilte Kupka auf der Online-Plattform X mit. Es sei noch zu früh, daraus konkrete Schlüsse zu ziehen.
Die beiden Lokführer überlebten den Unfall. Die Polizei nahm Ermittlungen wegen fahrlässiger Gefährdung der Allgemeinheit auf. Ein Augenzeuge sagte der Zeitung »Pravo«: »Ich habe mir noch gedacht, dass der Zug auf das falsche Gleis fährt, obwohl ein grünes Signal leuchtete. Auf einmal gab es einen Knall und der Zug stand.«
Augenzeugen hörten lauten Knall
Ein Passagier aus dem Zug, der selbst unverletzt blieb, berichtete danach: »Ich habe einen Aufprall gespürt und gehört, wie Glas zerspringt - gleich danach war Weinen zu hören.« Der Zusammenstoß der beiden Züge war noch in einiger Entfernung zu vernehmen. »Die Kollision hat uns aufgeweckt, meine Frau dachte, dass in der Nachbarschaft ein Haus eingestürzt ist«, sagte ein Anwohner dem Nachrichtenportal »iDnes.cz«.
Regierungschef Petr Fiala drückte den Angehörigen der Toten über die Online-Plattform X sein Beileid aus. »Die Kollision der beiden Züge in Pardubice ist ein großes Unglück«, schrieb er. »Wir denken alle an die Opfer und Verletzten.«
Der Streckenabschnitt war gerade erst für fast 300 Millionen Euro erneuert worden - einschließlich neuer Signaltechnik. Auf der vielbefahrenen West-Ost-Achse kam es stundenlang zu Zugausfällen und Verspätungen, betroffen waren unter anderem mehrere Verbindungen zwischen Prag und Wien.
Zugunglück kein Einzelfall
In Tschechien kommt es immer mal wieder zu schweren Eisenbahnunfällen. Im August 2021 stieß ein Expresszug auf der eingleisigen Strecke zwischen Pilsen (Plzen) und dem bayerischen Furth im Wald frontal mit einem Personenzug zusammen - drei Menschen kamen ums Leben, darunter die beiden Lokführer. Im Juli 2020 starben zwei Menschen beim Frontalzusammenstoß zweier Züge auf der Strecke von Karlovy Vary (Karlsbad) nach Johanngeorgenstadt in Sachsen.
Die Bahninfrastruktur in dem EU-Mitgliedstaat ist nach Ansicht von Experten stark überholungsbedürftig. Die Regierung hat beschlossen, das moderne europäische Zugsicherungssystem ETCS bis 2025 auf allen Hauptstrecken zu installieren. Es ist bereits auf mehr als 1100 Schienenkilometern verfügbar, bisher können es aber nur rund 700 Fahrzeuge nutzen, da eine Umrüstung erforderlich ist.
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