Männer im Rock, in Organza-Bluse, mit Puffärmeln, Rüschen, Perlenohrringen, lackierten Fingernägeln und Lippenstift: In der Mode ist es Megatrend, mit Geschlechterrollen zu spielen.
Doch so ein richtiges Massenphänomen ist das doch noch nicht geworden, auch wenn es Promis wie Harry Styles, Riccardo Simonetti oder Lars Eidinger vormachen. Was jedoch bei jüngeren Kerlen so gar kein Tabubruch mehr zu sein scheint, ist die Handtasche - das »Murse« (von »male purse«) genannte Herrenhandtäschchen. Man sieht Men's Bags im Internet bei den Elevator Boys und auf der Straße bei Teens und Twens - egal, ob in Tallinn, Tirana, Toulouse, Triest oder Trier.
»Wie auch die Sneaker verdankt die Tasche für Männer ihren aktuellen Erfolg der Streetwear und deren Designern«, erklärt das Stil-Magazin »GQ«. Die ersten Männertäschchen, die in diesem Millennium Wellen schlugen, seien Belt-Bags (Gürteltaschen) gewesen, die den Weg für weitere Varianten ebneten. »Besonders die Kollaboration zwischen Louis Vuitton und Supreme im Jahr 2017 verhalf der Tasche für Männer zu neuem Glanz.«
Veränderung des Taschenstils
Nun sehen Herrenhandtaschen heute natürlich nicht mehr so trutschig aus wie einst bei Hape Kerkelings Kunstfigur Horst Schlämmer. Die meisten Männertäschchen kommen nicht als Handgelenktasche daher. Und es wäre darüber hinaus spießig, ein Unbehagen auszudrücken, weil mit der Handtasche angeblich ein Frauen-Accessoire Männerkörper schmückt. »Unisex« gab es schon in den 70ern, »metrosexuell« in den 90ern.
Doch warum erlebt die Herrenhandtasche ausgerechnet jetzt ein Comeback? In den USA habe »der Verkauf von Männer- und Unisex-Handtaschen innerhalb von drei Jahren um 700 Prozent zugenommen«, sagt Carl Tillessen vom Deutschen Mode-Institut (DMI). Er betont jedoch: »Der aktuelle Boom der «Murse» hat nichts mit Genderfluidität zu tun. Ganz im Gegenteil: Es fällt auf, dass Männerhandtaschen gerade bei breitschultrigen, breitbeinigen Machos besonders beliebt zu sein scheinen.«
Der Trend hat einen praktischen Grund
Der DMI-Chefanalyst Tillessen führt aus: »Dass es in der Vergangenheit keine Handtaschen für Männer gab, ist genauso sinnlos, wie der Umstand, dass Frauenkleidung keine Innentaschen hatte. Denn: Wir alle brauchen in unserem Outfit Stauraum für Schlüsselbund, Portemonnaie und Handy, also alles, was wir mit uns herumtragen.«
Es gibt Tillessen zufolge gute Gründe, die den Boom der Männerhandtasche so dringlich machten und dazu geführt haben, dass Männer ihre kulturell bedingten Berührungsängste mit Handtaschen überwunden haben. Zum einen sei dies der Klimawandel, der viele Leute immer öfter ohne Jacke und damit ohne Stauraum am Körper unterwegs sein lasse. »Außerdem ist die Jogginghose als Standard in der Männergarderobe ein Grund dafür, dass sich die Herrentasche wieder etabliert hat. Im Gegensatz zu einer Jeans kann man in den Taschen einer Jogginghose wegen des nachgiebigen Stoffs keine schweren und scharfkantigen Gegenstände wie Schlüsselbund und Handy unterbringen.« Entsprechend seien genau die Männer, die gern in Jogginghosen herumlaufen, in jüngerer Zeit die ersten mit Täschchen gewesen.
Übrigens: Die Tasche als Raubzug der Männer in der Damenmode darzustellen, ist eigentlich ziemlicher Quatsch. Denn in der Geschichte trugen Männer oft Taschen. Gürteltaschen im Mittelalter, bestickte Jagdtaschen in der frühen Neuzeit. Erst im 20. Jahrhundert war der angebliche Ballast einer Extra-Tasche plötzlich tabu.
Taschen galten oft als »zu feminin«
In den 1970er Jahren führte dann die Mode mit schmalen Silhouetten und vor allem engen Hosen dazu, dass Herren Sachen wie den Geldbeutel in vergrößerte Brieftaschen mit Handgelenkschlaufe auslagerten. Doch schon ab den 80ern galt das wieder als »zu feminin«. Akzeptiert waren vielleicht noch die Bauchtasche unter der Kleidung und der Rucksack.
Doch im Zeitalter der Digitalisierung und vor allem des Smartphones, das sich in der Hosentasche oft zu groß und unschön abzeichnet, stellt sich die Frage: Auf welche Art all das Zeug transportieren?
Die Corona-Pandemie mit dem neuen Alltagsaccessoire Gesichtsmaske (aka Mund-Nase-Schutz) machte die Frage noch einmal dringlicher. In den letzten Jahren trat deshalb die Gürtel- oder Bauchtasche ihren Siegeszug an, die früher lediglich Kellnern, Schaffnern oder den als peinlich betrachteten Ballermann-Touristen vorbehalten schien.
Heute ist die Gürteltasche - am besten lässig als Cross-Body-Bag, also diagonal über der Brust getragen - sowohl bei Männern als auch Frauen angesagt. Die eigentliche Tasche wird dabei frontal oder unterhalb der Achsel platziert. Um manche Tasche gibt es inzwischen genauso viel Hype wie um das Trend- und Kultobjekt Sportschuh, sprich Sneaker.
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