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Trauma-Expertin: Entführtes Mädchen braucht viel Zuwendung

Die Geiselnahme hat ein glückliches Ende gefunden. Eine Trauma-Expertin erläutert, wie das vierjährige Mädchen den Weg zurück in die Normalität finden könnte.

Hamburger Flughafen
Der Geiselnehmer (l) kniet mit seinem Kind auf dem Boden - ein Polizeibeamter bringt eine Decke. Foto: Jonas Walzberg/DPA
Der Geiselnehmer (l) kniet mit seinem Kind auf dem Boden - ein Polizeibeamter bringt eine Decke.
Foto: Jonas Walzberg/DPA

Nach der 18-stündigen Geiselnahme einer Vierjährigen auf dem Hamburger Flughafen braucht das Mädchen aus Sicht der Trauma-Expertin Sibylle Winter nun besonders viel Zuwendung und Sicherheit, aber auch Normalität.

»Entscheidend ist, dass Unterstützung erfolgt, damit das Erlebnis ohne psychische Folgeschäden verarbeitet werden kann«, sagte die stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes und Jugendalters an der Berliner Charité der Deutschen Presse-Agentur.

Intensive Unterstützung

Es sei aber auch wichtig, das Kind gut zu beobachten, um mögliche psychische Folgestörungen schnell zu erkennen und zu behandeln. Die Unterstützung und das Auffangen müsse zunächst nicht unbedingt durch professionelle Therapeuten erfolgen: Es könne auch die Mutter oder eine andere enge Bezugsperson sein, die sich intensiv um das Mädchen kümmere und ihr noch mehr Zuwendung gebe als sonst, sagte Winter.

Nicht jedes Kind entwickle nach einem schwerwiegenden traumatischen Ereignis eine psychische Folgestörung. »Etwa 15 Prozent der Kinder sind betroffen«, sagte Winter. Bei einem vierjährigen Kind könne sich zum Beispiel eine Trennungsangststörung entwickeln. Es bräuchte dann eine psychotherapeutische Behandlung, so Winter.

Posttraumatische Belastungsstörung

Besonders belastend wäre die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung. »Wenn das Kind die Situation wochenlang immer wieder nachspielt und da nicht mehr herauskommt, würde ich professionelle Hilfe bei einer Traumaambulanz suchen«, so die Leiterin der Kinderschutz- und Traumaambulanz an der Charité.

»Oft reichen schon wenige Behandlungsstunden, damit das Erlebnis ein Stück weit verarbeitet und abgespeichert wird«, so die Kinder- und Jugendpsychiaterin und -psychotherapeutin. Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung hätten Betroffene das Erlebte nicht abgespeichert und ständig das Gefühl, noch in der Situation zu sein.

Das Gespräch

»Schön wäre es auch, dass man noch einmal mit dem Kind über das Erlebte spricht, es noch einmal aufgreift, in Worte fasst«, so Winter. Dies könne auch die Mutter oder eine andere enge Bezugsperson tun, wenn sie sich dazu in der Lage fühle.

»Es ist auch wichtig, dass das Kind wieder einen normalen Alltag und eine Routine bekommt. Das vermittelt Sicherheit und Stabilität«, so Winter. Auch ein möglichst baldiger Kitabesuch sei wichtig. Dort müsse das Kind aber möglichst normal behandelt werden, damit es gut integriert ist und keine Sonderrolle einnimmt. Es gebe auch Kita-Berater, die in die Einrichtungen kommen und das Personal für solche Fälle schulen.

© dpa-infocom, dpa:231106-99-843514/4