Ganz in schwarz gekleidet und mit schwarzem Kopftuch sitzt die 25-Jährige vor dem Richtertisch. Teils unter Tränen spricht sie über den Tag, an dem ihre fünfjährige Tochter getötet wurde. Mit Blick in Richtung des Angeklagten bricht es aus ihr heraus: »Warum? Warum dieses Kind? Warum sie? Habe ich dir je was Schlechtes getan?«
Der dunkelhaarige junge Mann links von ihr bleibt regungslos. Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft ihm Totschlag vor. Der 20-Jährige soll am 21. Februar im Bürgerpark Pankow sieben Mal auf die Tochter der Frau eingestochen haben. Das Mädchen starb im Krankenhaus.
Das Motiv für die Tat ist unklar. Und das wird es zunächst auch bleiben. Der Angeklagte hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Auch vor Gericht will er nicht aussagen, wie der 20-Jährige am Dienstag zum Prozessauftakt vor dem Berliner Landgericht mit fisteliger Stimme erklärte. Damit hat es die Jugendkammer mit dem Vorsitzenden Richter Uwe Nötzel mit einem Indizienprozess zu tun.
16 Verhandlungstage angesetzt
Insgesamt 16 Verhandlungstage hat das Gericht dafür bislang bis zum 10. November geplant. Die knappe Anklage benennt 25 Zeuginnen und Zeugen. »Ich verstehe nicht, warum er wegen Totschlags und nicht wegen Mordes angeklagt ist«, sagte die Mutter des getöteten Kindes vor Gericht und spricht damit an, was Prozessbeobachtern ebenfalls fraglich scheint. Die Staatsanwaltschaft hat dies bislang vor allem mit dem unklaren Motiv begründet. Vielleicht sei in der Sache das letzte Wort noch nicht gesprochen, meinte Nebenklage-Anwalt Rüdiger Portius am Rande des Prozesses. Einer der Verteidiger sagte, es sei eine Rechtsfrage.
Der Angeklagte wurde am Tattag festgenommen, nachdem das vermisst gemeldete Mädchen leblos in einem Gebüsch aufgefunden worden war. Seitdem befindet sich der junge Mann mit türkischen Wurzeln in Untersuchungshaft. Laut Anklage besitzt der 20-Jährige die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Er selbst sagte vor Gericht, er sei nur noch deutsch.
Er habe so getan, als ob er suchen helfe, schilderte die Mutter weinend vor Gericht. »Er hat uns in die Irre geleitet. Er wollte, dass wir sie nicht finden«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. Verzweifelt wirkt die 25-Jährige, sie macht sich Vorwürfe. Als sie wenige Tage vor der Tat die Kleidung des Angeklagten waschen wollte, fand sie in seiner Jacke ein Küchenmesser. »Ich hätte es ihm wegnehmen können. Ich dachte mir, jeder Vollidiot trägt ein Messer.« Im Nachhinein betrachtet, sei es ein Fehler gewesen, ihm die Kinder anzuvertrauen, sagte sie.
Die 25-Jährige kennt den Angeklagten nach eigener Aussage seit der Grundschulzeit. Auch weil sie zwischenzeitlich in Nordrhein-Westfalen lebte, hatten sie länger keinen Kontakt. Seit ihre Rückkehr nach Berlin im Sommer 2022 habe sie sich jedoch viel um ihn gekümmert.
Zuflucht bei Mutter des Kindes gefunden
Er habe zu Hause Probleme gehabt und bei ihr Zuflucht gesucht. Sie habe ihm geholfen, damit er nicht komplett abstürze. Er habe ihr leidgetan. »Er hat mich große Schwester genannt«, schilderte sie. Er habe mit ihren vier Kindern gespielt, häufig mit Puppen. Sie hätten ihn Tante genannt. »Ich dachte, dass er schwul ist«, sagte die Mutter.
Wenige Male habe er auf das Zwillingspaar und die zwei Mädchen alleine aufgepasst - auch am Tattag. Während er mit den Geschwistern auf einem Spielplatz nahe des Bürgerparks blieb, wollte die Mutter in der nahe gelegenen Wohnung Essen kochen. Sie sei dann informiert worden, dass die Fünfjährige verschwunden sei. Zeugen schilderten, der Mann sei mit dem Kind weggegangen, angeblich weil es zur Toilette musste. Etwas später sei er allein zurückgekommen.
Der Heranwachsende hat keinen Beruf erlernt und ist strafrechtlich schon aufgefallen. Im Prozess geht es auch um weitere Delikte aus dem Jahr 2021, darunter Körperverletzung, exhibitionistische Handlungen und Unfallflucht.
Der Prozess soll an diesem Donnerstag fortgesetzt werden. Dann soll eine Tante des getöteten Mädchens, die in NRW lebt, als Zeugin vernommen werden.
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