Er hat den zurzeit wohl brenzligsten Job in Ulm. Daniel Raabe sucht im Auftrag der Deutschen Bahn auf dem Gelände des Hauptbahnhofes nach Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg. Denn dort soll eines der beiden Portale für den Tunnel entstehen, durch den die neue ICE-Strecke Wendlingen-Ulm führt. Keine leichte Aufgabe, denn auf dem 30 000 Quadratmeter großen Areal liegt unter der Erde tonnenweise Schrott aus fast einem Jahrhundert Bahngeschichte. Und zu Hause wartet Raabes besorgte Frau.
Ein Baggerfahrer trägt vorsichtig Erde ab. Wenige Meter neben der Schaufel steht der 39-jährige Kampfmittelexperte, und überwacht alles mit achtsamen Augen. Seit Beginn der Bombensuche Anfang Januar ist ihm das Adrenalin schon einmal in die Adern geschossen. »Wegen einer 225 Kilogramm schweren Sprengbombe«, erinnert sich Raabe. »Zum Glück war sie ungefährlich. Der Zünder hatte bereits gebrannt.« Der Kampfmittelräumdienst hat die Bombe abgeholt, die Gefahr war gebannt.
Bevor überhaupt die Erde umgegraben wird, sucht der Kampfmittelexperte normalerweise mit Hightech-Geräten nach explosiven Hinterlassenschaften aus dem Zweiten Weltkrieg. Mit speziellen Detektoren tastet er die Erde unter sich ab. Piepsen diese besonders laut oder zeigt der Bildschirm eines Geräts blau-rote Flecken, dann ist Vorsicht geboten. Unter Raabe könnte dann eine Bombe sein.
Doch auf dem Ulmer Bahnhofsgelände hat der Sprengexperte erste Versuche, mit solchen Geräten nach Blindgängern zu suchen, aufgegeben. »Die Geräte sprechen überall an, wo Metall im Boden ist«, erklärt der 39-Jährige. Und davon gibt es viel rund um den Ulmer Hauptbahnhof. Erst einmal muss der Schrott weg, bevor die sensiblen Geräte zum Einsatz kommen.
Während der Kriegsjahre 1944 und 1945 wurde der Ulmer Hauptbahnhof besonders in das Visier der Alliierten genommen. Vor allem der Ulmer Güterbahnhof galt als wichtiger Schnittpunkt für Verbindungen zu Erdölfeldern in Rumänien und zu Kriegsschauplätzen in Italien. »Nach den Bombenangriffen waren die Gleise gebogen wie Achterbahnschienen. Lokomotiven lagen meterweit von den Gleisen entfernt«, erzählt Stefan Kielbassa, Projektleiter bei der Bahn für den Albabstiegstunnel und den Umbau des Ulmer Bahnhofs.
Anstatt die zerbombten Schienen und Gerätschaften zu entsorgen, wurde der Schrott auf dem Bahnhofsgelände vergraben. »Der Bahnbetrieb musste damals aufrechterhalten werden. So wurden neue Gleise einfach über die zerstörten gebaut«, sagt Kielbassa. »Bahngelände sind deshalb die schwierigsten Gebiete für einen Kampfmittelräumer«, fügt Raabe hinzu. »Und hier soll ich die Nadel im Heuhaufen finden.«
Falls der Bagger einen Blindgänger freilegt, geht alles ganz schnell. Zuerst schaut sich Raabe den Zünder an. Ist der Sprengkörper noch scharf, wählt er drei Nummern. Zuerst die der Polizei, dann die des Kampfmittelräumdienstes und schließlich informiert er die Bahn über seinen Fund. Selbst darf der erfahrene Experte die Bombe nicht entschärfen. »Das dürfen nur die Profis der Polizei«, sagt Raabe. Seiner Frau ist das recht. »Wenn es nach ihr geht, darf ich mich an die Zünder gar nicht ranmachen.« Das muss er aber, um zu kontrollieren, ob die Bombe noch scharf ist.
Die Stadt Ulm hat für den Fall der Fälle bereits einen Evakuierungsplan ausgearbeitet. »In einem Umkreis von 500 Metern müssten alle Menschen das Gebiet verlassen«, sagt Rainer Türke vom Ulmer Ordnungsamt. Man habe bereits Sperrschilder in der betroffenen Zone aufgestellt. Diese müssten nur noch umgedreht werden, um den Verkehr umzuleiten. Denn früher oder später ist es soweit. Projektleiter Kielbassa ist sich sicher, dass alte Kampfmittel gefunden werden. Auch Raabe vermutet schon jetzt mindestens einen Blindgänger auf dem Areal. (dpa)
