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Stuttgarter Glückscoach: »Glück kann man lernen«

Jeder will glücklich sein. Aber dieses Ziel gerät vor lauter Karriere machen, Haus bauen, Kinder großziehen, Eltern pflegen manchmal ins Hintertreffen. Irgendwann fühlt man sich leer. Damit dass nicht passiert, gibt es Nanni Glück. Die Psychologin aus der Nähe von Stuttgart hilft Menschen, ihren Alltag mit Freude zu meistern. Ihr Rat: gute Beziehungen zu anderen Menschen, eine positive Lebenseinstellung und Luftpolsterfolie knallen lassen,

Nanni Glück ist Glückscoach. Für die kleine Freude zwischendurch lässt sie Luftpolsterfolie knallen.
Nanni Glück ist Glückscoach. Für die kleine Freude zwischendurch lässt sie Luftpolsterfolie knallen. Foto: Michael Marzett
Nanni Glück ist Glückscoach. Für die kleine Freude zwischendurch lässt sie Luftpolsterfolie knallen.
Foto: Michael Marzett

KORNTAL-MÜNCHINGEN. Nanni Glück hat eine Mission: Sie will Menschen glücklich machen. Dafür bietet die Psychologin aus der Nähe von Stuttgart Seminare für Einzelne und Firmen an. »Lebenszufriedenheit hängt ab vom Umfeld«, meint sie. »Aber auch von der Sichtweise.« Darum trainiert sie mit den Kursteilnehmern den Fokus auf das Gute, Achtsamkeit und Lachyoga. »Das ist keine Esoterik«, sagt sie. »Der positive Effekt ist wissenschaftlich belegt.«

Darf man nach dem eigenen Glück streben? Ist das nicht egoistisch? Muss man nicht etwas für andere tun: zum Beispiel der Familie helfen, die Firma voranbringen, die Welt verbessern?

Nanni Glück: Der Mensch will seine Stärken entwickeln. Nur dann fühlt er sich wohl. Darum schließen Glück und andere Lebensziele einander nicht aus. Glück stellt sich vielmehr ein als Folge davon, dass andere Ziele erreicht werden. Der Mensch will glücklich sein, aber er braucht einen Grund dafür. Umgekehrt gilt: Nur wer für sich selbst sorgt, hat die Kraft, für andere zu sorgen.

Augenblickliche Euphorie oder dauerhafte Zufriedenheit: Welche Art von Glück sollten wir suchen?

Glück: Glücksmomente sind gut. Aber intensive Freude beschränkt sich meist auf kurze Höhepunkte. Lebenszufriedenheit ist mehr. Dabei handelt es sich um langfristiges, grundlegendes Wohlbefinden. Das stützt sich der Positiven Psychologie zufolge auf fünf Säulen.

Die Abkürzung dafür heißt PERMA (Martin Seligman 2011). P steht für positive Emotionen: Freude, Liebe, Dankbarkeit, Hoffnung, Neugier empfinden. E steht für Engagement: in einer Tätigkeit voll und ganz aufgehen. R steht für Relationship: gute Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen und erhalten. M steht für Meaning (Sinn): mit etwas verbunden sein, das größer ist als man selbst. A steht für Accomplishment (Erfolg): die eigenen Lebensziele erreichen. Wer diese fünf Kriterien erfüllt, hat gute Chancen auf ein erfülltes Leben.

Was macht glücklich? Sie haben allgemeine Strukturen genannt. Gibt es auch konkrete Inhalte, zum Beispiel Gesundheit, Familie, Karriere?

Glück: Der Mensch hat drei lebenswichtige Bedürfnisse, die unbedingt befriedigt werden müssen: Sicherheit (Schutz vor Gewalt, Verletzung, Tod), Zufriedenheit (Nahrung und Behausung), Verbundenheit (Teil einer sozialen Gruppe). Das soziale Grundbedürfnis lässt sich nochmals unterteilen in Zugehörigkeit, Selbstkontrolle und Autonomie, Befriedigung von Lust und Vermeidung von Unlust, Anerkennung. Zur Befriedigung der vier sozialen Grundbedürfnisse können wir selbst viel beitragen: Wir können zum Beispiel uns selbst wertschätzen und Grenzen setzen – andere Menschen reagieren dann entsprechend.

Darüber hinaus gibt es verschiedene Ziele, die Menschen im Leben erreichen wollen: zum Beispiel Gesundheit, Familie, Freiheit, Karriere, Status, Geld. Dabei handelt es sich um Werte. All diese Werte sind legitim, kein Wert ist besser oder schlechter als der andere. Junge Menschen will ich ermutigen, sich Gedanken über die eigenen Werte zu machen und ihr Leben daran auszurichten. Weil Werte allgemein und abstrakt sind, müssen sie runtergebrochen werden auf konkrete, spezifische Ziele, die sich im Alltag erreichen lassen. Im Laufe des Lebens können Werte sich verändern, darum empfehle ich eine regelmäßige Überprüfung und gegebenenfalls Nachjustierung.

In einem meiner Kurse war einmal eine Pflegerin: Sie wollte eine Auszeit nehmen und im Wohnmobil drauflosfahren. Das bedeutete für sie Freiheit. Ihr Arbeitgeber ließ sie aber nicht gehen. Darum riet ich ihr, sich am Wochenende ins Auto zu setzen und abwechselnd zweimal links und einmal rechts zu fahren. Sie probierte es aus und war begeistert: Auch beim kurzen Roadtrip fühlte sie sich frei.

Fällt es manchen Menschen leichter, glücklich zu sein?

Glück: Es gibt gewisse Vorteile: Einige verarbeiten das Glückshormon Serotonin besser. Aber der Unterschied ist winzig. Andere wachsen in einem Umfeld auf, wo sie sich sicher und geliebt fühlen. Das spielt eine große Rolle.

Wer schlechte Voraussetzungen hat: Kann der Glück trotzdem lernen?

Glück: Wir haben immer noch dasselbe Gehirn wie unsere Vorfahren in der Steinzeit. Dieses Steinzeit-Gehirn legt den Fokus auf Negatives statt Positives, auf Risiken statt Chancen, auf Mangel statt Fülle. Einerseits sichert das unser Überleben. Denn Gefahren müssen abgewehrt werden. Anderseits behindert das unser Glück. Denn es lenkt die Aufmerksamkeit ausschließlich auf belastende Ereignisse.

Die gute Nachricht: Glück lässt sich lernen. Wenn wir Gedanken oder Gefühle haben, dann werden Nervenzellen (auch Neuronen genannt) im Gehirn aktiviert und Verbindungen geknüpft. Je öfter ein bestimmter Gedanke oder ein bestimmtes Gefühl vorkommt, desto stärker wird das entsprechende Neuronennetz und desto leichter fällt der Gedanke oder das Gefühl. Das Gehirn ist neuroplastisch: Sein Inhalt verändert seine Struktur. Die Gedanken und Gefühle von heute formen das Gehirn von morgen – und zwar in jedem Alter. Das ist seit etwa 1950 bekannt.

Für das Wohlbefinden nutzte diese Entdeckung erstmals der amerikanische Neuropsychologe Rick Hanson im Jahr 2009. Seine Devise lautet: Je öfter wir Positives denken und fühlen, desto leichter fällt es uns. Positive mentale Zustände werden in dauerhafte neuronale Eigenschaften umgewandelt. Das erfordert allerdings viel Übung.

Ist Glück also eine Frage der Sichtweise?

Glück: Wie wir die Welt wahrnehmen, hat großen Einfluss auf unser Glück. Die Perspektive verändern lässt sich mit bestimmten Praktiken: Positives fokussieren, Dankbarkeit empfinden, Achtsamkeit üben.

Achtsamkeit ist eine alte Praktik, die ihre Wurzeln in der christlichen und buddhistischen Tradition hat. Unter dem Namen MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction, deutsch: Stressbewältigung durch Achtsamkeit) führte der amerikanische Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn Achtsamkeit in den 1970er-Jahren als Methode der Psychotherapie in die westliche Medizin ein. In meinen Seminaren mache ich Achtsamkeitsübungen mit den Teilnehmern. Dabei trainieren wir den Geist. Unter Geist verstehe ich nichts Esoterisches, sondern neuronale Aktivitäten wie Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen, die von Moment zu Moment da sind.

Der Geist braucht Training so wie jeder Muskel im Körper. Denn wenn man den Geist sich selbst überlässt, dann driftet er leicht ab: Er grübelt über die Vergangenheit und schmiedet Pläne für die Zukunft. Er bewertet alle Dinge als gut oder schlecht. Er ist überall, nur nicht im Hier und Jetzt. Was wir gerade tun – einfache Routinen wie Essen kochen, Wohnung putzen, zum Zug laufen – das tun wir oft auf Autopilot.

Das führt zu Problemen: Wir denken ständig an die Fehler von gestern und die Sorgen von morgen – und verpassen den gegenwärtigen Moment: den einzigen Zeitpunkt, den wir durch unser Handeln aktiv gestalten können.

Dagegen hilft Achtsamkeit: In den Übungen trainieren wir den Geist, die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu lenken. Die Realität anzuerkennen. Uns mit unseren Bewertungen nicht zu identifizieren. Wir treten gleichsam einen Schritt zurück und betrachten das Geschehen in unserem Kopf als neutraler Beobachter, der vorerst weder urteilt noch eingreift. Diese Perspektive schafft Freiheit: Sie lässt uns den Raum zwischen Reiz und Reaktion erkennen, neue Möglichkeiten entdecken, klügere Entscheidung treffen und zweckdienlichere Handlungen ausführen. Und sie macht uns zufriedener.

Die Eltern sterben, die Ehe zerbricht, eine Krankheit taucht auf: Wie kann man trotz Krisen glücklich sein?

Glück: Schmerz, Leid, Verlust: Krisen gehören zum Leben dazu. Dann dürfen wir uns mit gutem Gewissen schlecht fühlen. Aber alles geht vorbei. Wir Menschen tragen in uns die Stärke, Krisen zu überstehen. Dann kehren wir in unser Wohlbefinden zurück. Das bedeutet Resilienz: Zurückspringen in die eigene Form. Es gibt auch posttraumatisches Wachstum: Manche Menschen gehen aus einer Krise gestärkt hervor. Was mir persönlich hilft: Die Krise als Aufgabe zu verstehen, die es zu meistern gilt.

In der Krise besteht die Gefahr des Tunnelblicks: Wir sehen nur noch das Problem. Dagegen hilft eine Auszeit: etwas tun, was Freude macht. Denn positive Emotionen weiten den Blick für neue Lösungen. Zu diesem Schluss kam die amerikanische Psychologin Barbara Fredrickson um die Jahrtausendwende mit ihrer »Broaden-and-Build«-Theorie. Ich empfehle meinen Klienten, sich zehn Dinge aufzuschreiben, die ihnen Freude bereiten, und diese Liste immer mit sich zu führen für Notsituationen. Auf meiner Liste steht ganz oben: Luftpolsterfolie knallen lassen. (GEA)

Zur Person

Nanni Glück ist Expertin für Glück. Mittels Positiver Psychologie, Achtsamkeit, Lachyoga und Positiver Neuroplastizität will sie Menschen helfen, mit Freude durch den Alltag zu gehen. Sie bietet Seminare, Online-Kurse und Vorträge für Einzelpersonen, Unternehmen und Institutionen an. Glück studierte Psychologie, Japanologie und Volkswirtschaft an der LMU München sowie Positive Psychologie an der ETH Zürich. Zusätzlich absolvierte sie zahlreiche Weiterbildungen zu Glückspraktiken. Sie betrieb 15 Jahre lang eine Werbeagentur in Stuttgart. Seit 2015 arbeitet sie als Glückscoach. Die 52-Jährige lebt mit Partner und Hund in Korntal-Münchingen (Landkreis Ludwigsburg). (mis)
www.glueckslachen.de