Logo
Aktuell Panorama

Stiftung Lesen: Mehr Männer sollen Kindern vorlesen

»Uns geht es darum, dass die Menschen lesen können.« Dieses Ziel der Stiftung Lesen ist seit der Pandemie ein Stück weiter in die Ferne gerückt. Ganz verschiedene Angebote sollen das ändern.

Vorlesen
Eine Mutter liest ihrer kleinen Tochter aus einem Buch vor. Foto: Hans-Thomas Frisch
Eine Mutter liest ihrer kleinen Tochter aus einem Buch vor.
Foto: Hans-Thomas Frisch

Beliebte Bücher für Zwei- bis Siebenjährige in sieben Sprachen, kostenlose Vorlesegeschichten per App aufs Handy und Lesepaten aller Altersstufen: Mit zahlreichen Angeboten will die Stiftung Lesen Familien Lust aufs Vorlesen machen. »Viele Eltern fühlen sich vom Vorlesen überfordert«, sagte die Geschäftsführerin der Programme der Stiftung Lesen, Sabine Uehlein, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Mainz zum Tag der Familie an diesem Montag. »Insbesondere die männliche Perspektive fehlt.«

Den Kindern jeden Tag 10 bis 15 Minuten vorzulesen, ist nach Einschätzung der Fachleute ein guter Weg, damit Jungen und Mädchen lesen lernen. »Wir müssten den Kindern das Versprechen geben: «Wenn Du die Grundschule verlässt, kannst Du lesen»«, sagte Uehlein. Vier von zehn Kindern verließen die Grundschule mit Schwierigkeiten beim Lesen - in der Pandemie habe sich dies weiter verschlechtert.

Die ersten sechs Jahre sind entscheidend

»Lesekompetenz und Lesemotivation sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn die Leseflüssigkeit und -geschwindigkeit nicht reicht, wird auch kein sinnentnehmendes Lesen möglich«, beschreibt Uehlein die Folgen. »Was in den ersten sechs Jahren an Wortschatz und Spracherfassung nicht gelernt wurde, ist nur extrem schwer zu korrigieren.«

»Vier von zehn Kindern im Alter von ein bis acht Jahren wird zu Hause selten oder nie vorgelesen«, sagte Uehlein. »Rund 6,2 Millionen der 18- bis 64-jährigen Deutsch sprechenden Erwachsenen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben.« Dazu kämen viele andere Gründe: Unsicherheit oder Mangel an Vorbildern etwa. Viele Eltern hätten auch keine Zeit, keinen Raum oder keinen Spaß am Vorlesen. Andere seien der Meinung, ihre Kinder läsen nicht gerne oder sähen das als Aufgabe der Kitas und Schulen - oder ihnen fehle Material in ihrer Herkunftssprache.

Deshalb würden nun in Kooperation mit sechs Kinderbuchverlagen neun beliebte Bilderbücher übersetzt und seien ab Herbst auch auf Arabisch, Farsi, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Türkisch und Ukrainisch zu haben. »Wir haben uns als Gesellschaft noch nicht klar gemacht, wie viele Kinder in Familien mit anderen Sprachen aufwachsen«, sagte Uehlein. »Würde es das Buch nur auf Deutsch geben, würden diese Eltern gar nicht vorlesen«, beschreibt sie die Zielgruppe. »Wir lassen zu viel Potenzial liegen, wenn wir sagen, für Dich gibt es nichts.«

Digitale Geschichten

Der Lesebegriff müsse zudem »aufgebrochen und vom Sockel geholt werden«. »Es geht nicht um das gute Buch. Für jedes Kind und jeden Menschen gibt es die Geschichte, die passt«, so Uehlein. »Es muss auch nicht immer ein Buch sein.« Auch mit digitalen Geschichten und in Media-Labs werde Lesen gefördert. »Bei Kleinkindern reicht es auch zu erzählen, was auf Bildern zu sehen ist - das ist auch Vorlesen.«

»Grundschullehrer müssen heute drei bis vier differenzierte Materialien anbieten, so viele unterschiedliche Niveaus gibt es inzwischen in einer Klasse«, berichtete Uehlein. Der Stadtstaat Hamburg engagiere sich in vorbildlicher Weise für das Lesenlernen. So seien unter anderem Sprachstanderhebungen schon mit 4,5 Jahren vorgeschrieben und danach verbindliche Fördermaßnahmen.

Nicht nur Eltern können vorlesen. Um mehr Lesepaten aller Altersstufen zu gewinnen, will die Stiftung Lesen am liebsten in allen Bibliotheken und Büchereien einen Hub einrichten, bei dem Leserinnen und Leser direkt angesprochen werden und nach einer kurzen Schulung eine Institution suchen könnten, um Kindern vorzulesen.

© dpa-infocom, dpa:230514-99-684647/3