BERLIN. Plötzlich ist die Musik weg. Gerade liefen noch Discobeats, jetzt ruft es vom DJ-Pult: »Wir haben Corona, Leute! Abstand oder Masken!«. Und tatsächlich rühren sich die Tanzenden und lassen etwas mehr Platz. Die Musik läuft weiter.
Es ist Mitternacht im Berliner Volkspark Hasenheide. Unter einem Baum auf einer Wiese haben sich Dutzende Menschen versammelt, um die Veröffentlichung eines Musikalbums zu feiern. Für die Musik sorgt DJ Himself. Die Gruppe hat alles mitgebracht, was es braucht: Eine Musikanlage plus Generator, bunte Lichter und eine Diskokugel.
Als die Corona-Pandemie im März Deutschland erreichte, waren die Clubs die ersten, die ihre Türen schlossen. Sogar in Berlin, das sich vor Corona damit rühmte, nie zu schlafen, herrscht seitdem Ruhe. Wann es wieder losgeht, ist ungewiss. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dämpfte zuletzt die Hoffnungen auf eine baldige Öffnung und zog Kritik auf sich, als er der »Augsburger Allgemeinen« sagte: »Aber Sie können ja zum Beispiel zu Hause mit Ihrer Partnerin tanzen.«
Die Lage ist ernst. Die Clubbetreiber machen sich große Sorgen um ihre Zukunft und fürchten, ihre Läden gar nicht wieder aufzumachen. Mit Crowdfunding-Kampagnen und dem Konzert-Livestream »United We Stream« sammelten sie Geld. Die, die können, verkaufen Bier oder Sekt im eigenen Garten. Sogar am Berghain, wo sonst Menschen aus aller Welt das Wochenende durchtanzen, kann nun gesellig Bier getrunken werden. Das Virus treibt die Leute an vielen Orten ins Freie: In Frankfurt kamen am Freitagabend 2000 Menschen auf den Opernplatz.
In Berlin sind Partys im Freien normalerweise nichts Besonderes - doch seit Corona ist, ist nichts mehr normal. Die Clubs sind zu, die jungen Leute treffen sich in den lauen Sommernächten zum Feiern im Park. Besonders beliebt sind laut Polizei die Hasenheide, der Mauerpark, das Gleisdreieck oder der Treptower Park. Immer wieder wird dort auch getanzt. In der Hasenheide nahe der Szeneviertel von Kreuzberg und Neukölln, gibt es viele versteckte Wiesen, die sich für mehr oder weniger geheime Raves eignen.
An diesem Freitagabend sind auch wieder viele Leute gekommen. Sie treffen sich auf einer weiteren Wiese - nicht weit entfernt von dem Baum, unter dem später getanzt wird - und warten darauf, was heute noch passiert.
Unter ihnen ist Tobias aus St. Gallen, der für fünf Tage in Berlin zu Besuch ist. Der BWL-Student zeigte sich erschrocken, dass in Berlin noch alles zu sei. In der Schweiz sei alles wieder normal. Er sei auch schon wieder feiern gewesen. Ein schlechtes Gewissen habe er schon gehabt. Trotzdem: »ch bin halt noch jung und so und hab auch das Gefühl, irgendwann muss ich auch wieder mal raus und Leute treffen«, sagt er. Nicht ganz so locker sieht es Marie aus Neukölln. »Wenn wir mit drei Metern Abstand tanzen, fände ich es okay«, sagt sie. Wenn es zu dicht wäre, würde sie passen.
Ist das Feiern unterm Himmel also eine Lösung? Die Partys bringen jedenfalls Probleme mit sich: Müll, Lärm und auch Gewalt. Im Juni wurden im Gleisdreieck-Park Polizisten bei Krawallen von Feiernden angegriffen. Der Berliner Senat schilderte die Lage sehr eindrücklich: »Insbesondere in den Abendstunden kommt es zu massiven Vandalismusschäden, Lärmbelästigungen sowie anderen Ereignissen.«
Die Berliner Clubs und Partyveranstalter hätten eine Idee, wie diese Probleme in den Griff bekommen werden könnte. Das Branchennetzwerk Club Commission sprach sich dafür aus, legale Alternativen zu ermöglichen, etwa in Parks oder in den Außenbereichen von Clubs. Schließlich sei das Feiern im Freien auf Abstand laut Infektionsschutzgesetz nicht verboten, sagte Sprecher Lutz Leichsenring. Eine Erläuterung dazu veröffentlichte der Verband auf seiner Internetseite. Vom kontrollierten Feiern hätten am Ende alle was - nicht nur die, die diesen Sommer tanzen wollen.
Kontrolliert, fast schon nüchtern wirkt auch die Party unter dem Baum. Die Musik ist nicht zu laut, die Tanzenden genießen die Musik. Vergessen sie dabei, auf die Abstände zu achten, kommt sofort die Ansage vom DJ-Pult: »Haltet mal bitte Abstand!«. DJ Himself, der eine weiße Zottelweste und Sonnenbrille trägt, sagt: »Wir sind keine Verfechter von illegalen Keller-Raves oder sonstigen Super-Spreader-Events.« Das wollten sie tunlichst vermeiden. »Wir würden uns ja ins eigene Fleisch schneiden.« Partys zu legalisieren, fände er ein Zeichen: »Passt auf: Ihr könnt eure Musik draußen haben, aber achtet darauf, dass wir alle gesund bleiben.« (dpa)