Am 3. Oktober 2022 gegen 2.30 Uhr war es, als die Frau in ihrer Ferienwohnung in Aschau im Chiemgau draußen einen gellenden Schrei hörte. »Einen Kreischschrei«, beschreibt sie den später bei der Polizei, »einen Schrei in Todesangst«.
Die Ermittler gehen heute davon aus, dass es die 23 Jahre alte Hanna war, die damals schrie, bevor sie in den Bärbach stürzte, der damals reißend viel Wasser führte.
Und sie gehen davon aus, dass ein junger Mann sie damals in diesen Bach warf, nachdem er sie »aus sexuell motivierten Gründen«, wie es in der Anklage gegen ihn heißt, angegriffen, ihr mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf geschlagen und sie stranguliert hatte.
Hannas Leiche wurde Kilometer von dem mutmaßlichen Tatort im Fluss Prien gefunden. Die junge Frau war nach Angaben der Staatsanwaltschaft ertrunken.
Der Angeklagte schweigt
Vor dem Landgericht Traunstein schweigt der Mann, dem vorgeworfen wird, dafür verantwortlich zu sein. Der 21-Jährige, der wie Hanna aus Aschau stammt, werde sich »vorab zur Sache und zur Person nicht äußern«, sagt einer seiner Anwälte am Donnerstag beim Prozessauftakt. Die Verteidigung behält sich allerdings vor, dass der Angeklagte sich zu einem späteren Zeitpunkt äußern könnte.
»Vielleicht denken Sie drüber nach«, sagt die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler und schaut den Angeklagten eindringlich an. »Was bei diesem Indizienprozess fehlen wird, wird immer die Motivation, die besondere Situation« sein, betont sie. »Das ist wie ein Puzzle.«
Der Fall hatte die Region erschüttert: Die 23-Jährige Medizin-Studentin, die in den Semesterferien daheim bei ihrer Familie war, war damals nicht vom Feiern in ihrem Stammclub »Eiskeller« zurückgekommen.
Rund sechs Wochen nach der Tat wurde der 21-Jährige unter Tatverdacht festgenommen. Die Polizei hatte zuvor nach einem Jogger gesucht, den anderen Zeugen in der Nacht in der Nähe des Tatortes gesehen hatten.
Die Mutter des jungen Mannes war es schließlich, die sich bei der Polizei meldete, um zu sagen, dass ihr Sohn in der fraglichen Nacht joggen gegangen sei, weil er nicht schlafen konnte. So schildert es einer der ermittelnden Kriminalpolizisten vor Gericht.
Kriminalkommissar sagt aus
Wie genau aus dem zunächst als Zeugen gesuchten Jogger der Tatverdächtige wurde, das führt der Kriminalkommissar zunächst noch nicht aus. Aber er berichtet, wie Monate nach dem Tod der jungen Frau ihr Handy gefunden wurde.
Die Auswertung der Daten ergaben, dass Hanna wohl noch versuchte, ihre Eltern anzurufen, kurz bevor sie starb. Um 2.32 Uhr wählte ihr Telefon demnach die Nummer des Festnetzes, doch der Anruf ging nicht durch. Rund drei Minuten später dann seien die GPS-Daten des Handys schon nicht mehr eindeutig zuzuordnen gewesen - aus Sicht des Polizisten, weil dann »sehr wahrscheinlich das Mobiltelefon sich im Wasser befand«.
Als der Polizist dies schildert, weint Hannas Mutter, die den Prozess gemeinsam mit ihrem Mann als Nebenklägerin verfolgt, den ganzen Verhandlungstag über mit den Tränen kämpft und diesen Kampf immer wieder verliert. Der Familie sei es wichtig, dass es in dem Prozess nicht nur um den mutmaßlichen Täter und ein anonymes Opfer gehe, sagt der Nebenklagevertreter Walter Holderle - sondern um Hanna, eine liebenswerte und lebenslustige junge Frau, die nun nicht mehr da ist.
Familie wird aussagen
Die Zeit heile nicht alle Wunden, sagt er in einer Verhandlungspause. Den Eltern gehe es ein Jahr danach noch immer furchtbar. »Sie leiden unverändert.« Und sie hoffen auf Antworten, vor allem auf die Frage: »Wie waren die letzten Sekunden im Leben meiner Tochter?«
Für diesen Freitag, den zweiten Verhandlungstag, waren die Aussagen von Hannas Familie geplant. Sie wollen reden - anders als die Familie des Tatverdächtigen, dessen Eltern und Schwester sich zu Prozessbeginn auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Außerdem sollten Fotos aus dem »Eiskeller« gesichtet werden, sagt Richterin Aßbichler - »die letzten Bilder, auf denen man die Hanna noch sieht«.
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