Hinter dem Ortsausgang von Alice Springs wartet das große Nichts. Wer das berühmte Outback-Städtchen im Herzen Australiens verlässt, der findet sich schon wenig später in den schier endlosen Weiten Australiens wieder. Rote Erde, Spinifexgräser, dornige Akazien und Buschland so weit das Auge reicht. Aber auch in dieser abgelegenen Wildnis leben Menschen, Viehzüchter vor allem. Der nächste Ort mit Schule liegt oft Hunderte Kilometer entfernt - ein Problem für Familien mit Kindern.
Jahrzehnte vor der Corona-Pandemie, als Schüler und Schülerinnen in aller Welt plötzlich auf digitalen Fernunterricht ausweichen mussten, entwarf Australien bereits ein ähnliches - wenn auch anfangs eher rudimentäres - System: 1951 wurde in Alice Springs die erste School of the Air eröffnet. Seither bekommen auch »Outback-Kinder« die Chance auf eine erstklassige Schulbildung, ganz egal, wie weit sie von der Zivilisation entfernt leben.
»Es ist eine wirklich außergewöhnliche Schule, die Leben verändert und Kindern im Outback eine bessere Zukunft ermöglicht«, lernen Gäste im kunterbunten Besucherzentrum. Auf diese Weise müssten gerade kleinere Kinder nicht von ihren Eltern getrennt werden, um ein Internat zu besuchen, sagt Kerrie Russell, seit sieben Jahren Direktorin der Schule. Das Angebot reicht von der Vorschule bis zur 9. Klasse. Derzeit werden etwas mehr als 100 Kinder im Alter zwischen 4 und 15 Jahren von 14 Lehrern unterrichtet.
Zwar sitzen die Schülerinnen und Schüler die meiste Zeit ohne direkte Klassenkameraden zu Hause - dennoch sind sie über alle räumliche Entfernung hinweg Teil des »größten Klassenzimmers der Welt«, das sich über unglaubliche 1,3 Millionen Quadratkilometer im südlichen Northern Territory erstreckt.
Heute gibt es in ganz Down Under 16 Standorte der School of the Air - von der Bergbausiedlung Broken Hill in New South Wales über Mount Isa im Nordwesten von Queensland bis Kalgoorlie in Westaustralien.
Vom pedalbetriebenen Funkgerät bis Starlink
Die Idee geht auf die Schulinspekteurin Adelaide Miethke zurück. Die ehemalige Lehrerin kam in den 1940er Jahren nach Alice Springs und besuchte dort den Royal Flying Doctor Service. Dieser gewährleistet bereits seit 1928 ärztliche Versorgung für Patienten in dünn besiedelten Gebieten - dank Flugzeugen und Funk.
Die Kontaktaufnahme mit den entlegenen Gebieten wurde in den 1920er Jahren durch den Erfinder Alfred Traeger möglich, der ein leicht bedienbares Morse-Funkgerät mit Pedalantrieb entwickelte. Adelaide Miethke kam die Idee, das Radiokommunikationssystem der Flying Doctors auch für Fernunterricht zu nutzen.
In den Räumlichkeiten der fliegenden Ärzte hatte dann auch die erste School of the Air ihren Sitz. Erst seit 1978 verfügt sie über ein eigenes Gebäude.
»Anfangs sprachen die Lehrer noch in die große Stille hinein, ohne Interaktion mit den Schülern«, erzählt Mitarbeiter Paddy McFarland. Erst später wurde die Zweiweg-Übertragung entwickelt. Aber selbst als Prinzessin Diana und Prinz Charles 1983 die School of the Air besuchten und Fragen von Kindern im Outback beantworteten, war extrem lautes, statisches Radiorauschen noch die Norm. Im Besucherzentrum ist ein Video der royalen Stippvisite zu sehen.
Erst mit dem weltweiten Siegeszug des Internets wurden Videoübertragungen möglich, und Schüler und Lehrer konnten sich endlich auch sehen. Seit 2001 sind Satellitenschüsseln im Einsatz. Längst arbeitet die Schule mit modernster Technologie, seit Neuestem mit dem von Elon Musks Unternehmen SpaceX betriebenen Satellitennetzwerk Starlink, das schnelles Internet auch in die entlegensten Orte bringt.
Wo und wie leben die Kinder?
Australien ist ein in weiten Teilen kaum besiedeltes Land mit zahlreichen landwirtschaftlichen Betrieben. Und die sind gigantisch: Im Süden liegt die größte Viehfarm der Welt: »Anna Creek« erstreckt sich über mehr als 23.000 Quadratkilometer. Das entspricht in etwa der Größe von Mecklenburg-Vorpommern.
Durchschnittlich messen die Farmen rund 3.000 Quadratkilometer - das ist immer noch größer als das Saarland. Die meisten Schüler der School of the Air leben auf solchen »Stations«, wie die riesigen Ländereien genannt werden. Andere stammen aus indigenen Gemeinschaften, sind Kinder von Rangern in Nationalparks oder leben in entlegenen Polizeistationen oder Bergbausiedlungen.
Staub, Fliegen, Dürren und Überschwemmungen sind Teil des Alltags in diesen menschenfeindlichen Regionen. »Aber Kinder sind trotz allem zumeist ziemlich glücklich in diesen isoliert liegenden Gebieten«, sagt Schuldirektorin Kerrie Russell. »Auf den Farmen ist immer etwas los, und schon in jungen Jahren dürfen sie mit anpacken und sich nützlich machen.«
Die Schulmaterialien werden derweil nach Hause geschickt und alle Schülerinnen und Schüler erhalten gratis einen Computer. Finanziert wird das System von den Regionalregierungen. Maximal 8 bis 20 Kinder werden gleichzeitig unterrichtet. Die Lehrkräfte sitzen in einem Studio mit mehreren Kameras, die verschiedene Blickwinkel auf den Lernstoff ermöglichen. Auf einer Online-Plattform gibt es Feedback für die erbrachten Leistungen.
Tutoren helfen bei den Hausaufgaben
Der Unterricht dauert maximal zwei Stunden pro Tag, dann lernen die Kinder und Jugendlichen drei bis vier Stunden selbstständig zusammen mit einem »Home Tutor«. Das kann ein Elternteil sein oder auch eine eigens dafür angestellte Person.
Jedes Schulkind wird einmal im Jahr von seinem Lehrer oder seiner Lehrerin mit robusten Geländewagen besucht. Dort sehen die Lehrkräfte dann oft zum allerersten Mal das »Klassenzimmer« ihrer Schülerinnen und Schüler. Viermal pro Jahr treffen sich dann alle - Schüler, Eltern, Tutoren und Lehrer - in den Räumlichkeiten der School of the Air.
Dann findet eine Woche lang Präsenzunterricht statt, Freundschaften werden geschlossen und Ausflüge unternommen. »Diese direkten Interaktionen sind sehr wichtig«, weiß Direktorin Russell. Aber um nach Alice Springs zu gelangen, sind die Familien manchmal viele Stunden auf roten Sandpisten unterwegs. Es handelt sich eben um eine Schule der besonderen Art - und irgendwie ist sie doch typisch für dieses weite Land.
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