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Reutlinger Medizinstudent von Bundespräsident gelobt

Amandeep Grewal hat eine Vermittlungsplattform für Medizinstudenten in Coronazeiten entwickelt

Amandeep Grewal fühlt sich Reutlingen immer noch sehr verbunden. Er kommt regelmäßig in die Stadt, um Freunde und Familie zu seh
Amandeep Grewal fühlt sich Reutlingen immer noch sehr verbunden. Er kommt regelmäßig in die Stadt, um Freunde und Familie zu sehen. Corona hat aber auch seine Heimatbesuche schwieriger gemacht. Er braucht jetzt einen negativen Corona-Test, um herkommen zu dürfen. FOTO: KIEFHABER
Amandeep Grewal fühlt sich Reutlingen immer noch sehr verbunden. Er kommt regelmäßig in die Stadt, um Freunde und Familie zu sehen. Corona hat aber auch seine Heimatbesuche schwieriger gemacht. Er braucht jetzt einen negativen Corona-Test, um herkommen zu dürfen. FOTO: KIEFHABER

REUTLINGEN. Während seiner Schulzeit hätte wohl kaum einer der Lehrer von Amandeep Grewal gedacht, dass aus dem Reutlinger mal ein Medizinstudent wird – und dann auch noch einer, der von Bundespräsident Steinmeier lobend in einer Rede erwähnt wird. Denn Amandeep Grewal war in seiner Jugend nicht gerade ein Musterschüler, erzählt er lachend, während er in einer seiner wenigen freien Minuten im Café Sommer in der Reutlinger Wilhelmstraße sitzt. »Ich kann mich noch gut dran erinnern, wie ich einmal mit einer Lehrerin um Punkte im Zeugnis feilschte. Sie sagte zu mir: ›Es ist ja nicht so, als würdest du Medizin studieren wollen‹.« Doch genau das tat Grewal.

In Bratislava, in der Slowakei. Doch nicht nur das: Um zumindest einen Teil der Studiengebühren zu finanzieren, gründete Amandeep Grewal nebenher ein Start-up mit Kommilitone Andreas Zehetner. Dort vermitteln sie deutsche, schweizer oder österreichische Studenten nach Bratislava. Als sei das nicht genug, waren er und sein Kommilitone auch noch diejenigen, die nach dem Aufruf von Markus Söder, dass Studenten in Krankenhäusern helfen sollten, mit einem neuen Portal dafür sorgten, dass dies überhaupt stattfand. Für diese Idee wurde Grewal von Bundespräsident Steinmeier gelobt und gewann den Jugendpreis der Stiftung Filippas Engel.

»Wir sind wie Tinder für das Gesundheitswesen«

Hört man Amandeep Grewal über seine Projekte sprechen, klingt es, als sei alles nur Zufall gewesen. Zum Medizinstudium kam der heute 25-Jährige über ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), das er in der Neurologie an der Uniklinik Tübingen absolvierte. »Ich bin einmal auf dem Rückweg nach Reutlingen am Tübinger Club Top Ten vorbeigefahren. Da hab ich Jugendliche stehen sehen, die einfach nur feiern wollten. Ich kam gerade aus der Klinik. Dort lagen im selben Moment Leute, die einen Gehirntumor hatten und darum kämpften, nur noch ein Jahr leben zu dürfen. In diesem Moment habe ich gemerkt, wie verrückt das ist.« Er wollte einen Unterschied machen und entschied sich, Medizin zu studieren. Weil der Noten-Durchschnitt aber nicht für ein Studium in Deutschland reichte, verschlug es ihn nach Bratislava in der Slowakei.

Inzwischen verhilft er auch anderen Studienbewerbern zum Medizinstudium in der Slowakei. Das Geschäft läuft so gut, dass sich Amandeep nach der erfolgreichen Medizin-Abschlussprüfung nun erst einmal ein Jahr freinimmt, um die Studienvermittlung mit einer Zweigstelle in Wien auszubauen. Dort wohnt er jetzt, kommt aber regelmäßig nach Reutlingen.

Auf einer Fahrt von Bratislava nach Reutlingen im März beginnt die Geschichte des Vermittlungsportals »Medis vs. Covid-19«, für das Amandeep Grewal gerade so viel Lob bekommt. Im Auto hört er vom Aufruf Markus Söders. Kaum in Reutlingen angekommen, versucht Grewal im Internet herauszufinden, wie er als Medizinstudent in der Coronakrise in einer Klinik helfen kann. Doch er findet nichts. »Da habe ich eine Facebook-Gruppe gegründet, weil ich wissen wollte, ob es noch andere gibt, denen es so geht wie mir«, erzählt Grewal. Als Grewal am nächsten Morgen aufwacht, hatte die Facebook-Gruppe bereits mehr als 1 000 Mitglieder. »Das ist richtig eskaliert. Da stand ich vor der Entscheidung: Zurückziehen, weil es mir über den Kopf wächst, oder weitermachen.« Grewal entschloss sich für Letzteres. »Wenn ich mal zwei oder drei Tage nichts zu tun habe, laufe ich im Kreis«, sagt er ganz einfach.

Da im März coronabedingt in seiner Vermittlungsagentur sowieso nicht viel los war, setzten Amandeep Grewal und Kommilitone Andreas Zehetner sich also zusammen und entwarfen die Corona-Vermittlungs-Webseite. Die Erfahrung aus ihrem Start-up kam ihnen dabei natürlich zugute.

Auf »Medis vs. Covid-19« können sich nun Studenten oder andere Angehörige von Gesundheitsberufen melden, wenn sie helfen wollen. Auch Kliniken können dort ihre Angebote einstellen und bekommen dann angezeigt, wer in ihrem Umkreis helfen kann. Inzwischen haben sich mehr als 10 000 potenzielle Helfer und rund 100 Gesundheitseinrichtungen im Portal angemeldet, darunter auch die Kreiskliniken Reutlingen, die aktuell auch nach Hilfe suchen. »Ob tatsächlich ein Einsatz zustande kommt, können wir aber nicht sagen. Wir sind wie Tinder für das Gesundheitswesen. Wir vermitteln nur«, sagt Grewal.

Schnell wurde im März der Bundesverband der Medizinstudierenden (bvmd) auf das Projekt aufmerksam. Es gründete sich eine Arbeitsgruppe, die sich regelmäßig online trifft. Die Studenten, die inzwischen einen Verein gegründet haben, investieren nicht nur eine Menge Zeit in das Projekt, sondern auch Geld beispielsweise für die Server. Bisher bekamen sie nur eine Unterstützung von einem Sponsor. Weil sie selbst keine gemeinnützigen Dienstleistungen anbieten, sondern diese nur anonym vermitteln, sind sie auch nicht als gemeinnützig anerkannt. Trotz des Lobs von allen Seiten sind die Finanzen also knapp. »Das Geld hätte uns nur für die nächsten sechs Monate gereicht, hätten wir jetzt nicht auch das Preisgeld von der Stiftung Filippas Engel bekommen«, sagt Grewal.

»Ich dachte schon, mich will jemand verarschen«

Trotzdem ist Amandeep Grewal froh, dass sie inzwischen auch vom Bundesgesundheitsministerium offiziell auf der Webseite »Zusammen gegen Corona« gelistet sind. Das ist auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu verdanken. Denn bis er sich bei Grewal meldete, war dem nicht so. »Ich war damals ziemlich abgehärtet, was Anrufe anging«, erzählt Grewal von seinem ersten Kontakt mit dem Bundespräsidialamt. »Das Telefon hat ständig geklingelt und vorher hatten zum Beispiel auch schon Die Zeit oder Der Spiegel angerufen – und dann eben auch das Bundespräsidialamt.«

Kurz nach diesem ersten Anruf kam ein zweiter: »Da war eine Frauenstimme dran, die sagte, der Bundespräsident würde mit mir sprechen wollen. Dann war erst einmal Ruhe in der Leitung. Ich dachte schon, mich will jemand verarschen«, sagt Grewal. Plötzlich meldete sich Frank-Walter Steinmeier, fragte, wie er auf die Idee der Vermittlungsplattform gekommen sei, und bedankte sich bei ihm. »Ich habe ihm erzählt, dass wir Unterstützung gebrauchen könnten«, sagt Grewal.

Bis heute muss er den Kopf schütteln, wenn er daran denkt, was die Politiker im Frühjahr von den Studenten forderten, ohne daran zu denken, wie solch ein studentischer Einsatz in Kliniken machbar sei. Kurz nach Steinmeiers Anruf und der Rede, meldete sich das Bundesgesundheitsministerium. Geld gibt es von dort zwar nicht, aber immerhin sind sie nun auf der Webseite des Ministeriums gelistet.

»Das könnte man in ganz Europa anwenden«

Wie wichtig die Vermittlung ist, zeigt sich auch jetzt, während der zweiten Welle der Pandemie. »Wir kriegen wieder besonders viele Anfragen«, sagt Grewal. Was er aber nicht versteht: »Überall hört man, wie überlastet die Ämter sind. Schade, dass vom Bundesgesundheitsamt keine Ansage kommt, dass sich die Gesundheitsämter bei uns melden sollen. Wir haben Tausende Menschen im Portal, die helfen können.« Etwaige Bedenken, dass sich staatliche Stellen nicht einfach an ein privat organisiertes Portal wenden können, lässt Grewal nicht gelten. »Von mir aus kann das Portal auch eine amtliche Stelle übernehmen. Es funktioniert alles einwandfrei. Das könnte man in ganz Europa anwenden«, sagt er.

Amandeep Grewal möchte helfen, etwas verändern, schließlich hat er darum Medizin studiert. Jetzt hilft er zwar nicht als Arzt, aber mit seinem unternehmerischem Wissen. Doch in einem Jahr hofft er, wieder seiner eigentlichen Berufung folgen zu können. Dann will er mit der Facharzt-Ausbildung beginnen. »Anästhesie oder Kardiologie«, sagt er. »Auf jeden Fall etwas in Richtung Intensivmedizin.« Und wie sieht es mit einer Praxis oder einer Anstellung in Reutlingen aus? »Ja, das kann ich mir gut vorstellen«, sagt Grewal. Doch jetzt ist er erst einmal mit anderen Dingen beschäftigt. (GEA)

 

www.medis-vs-covid19.de

 

 

STIFTUNG FILIPPAS ENGEL

Die Stiftung Filippas Engel ist benannt nach Filippa Sayn-Wittgenstein. Die Prinzessin war erfolgreiche Fotografin, bis sie bei einem Autounfall starb. Die Tantiemen aus ihren verkauften Büchern und Hörbüchern fließen jetzt der Stiftung Filippas Engel zu. Die Stiftung zeichnet jährlich junge Europäer aus, Einzelpersonen wie auch Gruppen, die sich auf außergewöhnliche Weise für die Gemeinschaft einsetzen. Für den Preis kann man empfohlen werden oder sich selbst dafür bewerben. (geu)

www.filippas-engel.de