Statt auf einen Fernseher schaut Helmut Mägdefrau vom Sofa aus auf zwei große Terrarien. In dem einen, zimmerhohen verspeisen Grüne Baumeidechsen gerade ein paar Grillen zum Frühstück.
In dem anderen verharrt eine chinesische Krokodilschwanz-Höckerechse regungslos auf einem Stein, selbst als Mägdefrau die Glastür aufschiebt. »Der ist relativ tiefenentspannt«, sagt er. Das Männchen für ein Foto in seinem Wohnzimmer in Lauf an der Pegnitz auf die Hand nehmen würde er trotzdem nie: »Das sind keine Schmusetiere«.
Als Biologe betreute der 68-Jährige bis zu seinem Ruhestand viele Jahre lang Eisbären, Gorillas und andere Tiere im nahe gelegenen Nürnberger Tiergarten. Doch Reptilien und Amphibien wie Frösche faszinierten Mägdefrau schon als Kind am meisten. Mit fünf Jahren habe er sein erstes Terrarium bekommen, erzählt er. Er liebe es, Echsen und ähnliches Getier zu beobachten und ihr Verhalten zu studieren. »Sie sind komplett anders als wir.«
Herkunft der Tiere oft nicht nachvollziehbar
So wie Mägdefrau geht es vielen Menschen. Etwa 1,3 Millionen Terrarien gab es nach Angaben des Industrieverbands Heimtierbedarf im vergangenen Jahr in Deutschland.
Schätzungen dazu, wie viele Reptilien und Amphibien aktuell als Haustiere gehalten werden, sind kaum möglich. Er gehe von mehreren Millionen aus, sagt Axel Kwet von der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT). »Ähnlich wie in einem Aquarium in der Regel nicht nur ein Fisch zu finden ist, leben in Terrarien als Abbild natürlicher Biotope meist mehrere Insassen, die durch leichte Züchtbarkeit dann oft auch zu Hunderten in einem Haushalt zu finden sind.«
Der Großteil stamme inzwischen aus Nachzuchten, sagt Martin Singheiser vom Bundesverband für fachgerechten Natur-, Tier- und Artenschutz. »Bei vielen Arten kann man auf Wildfänge komplett verzichten.« Noch immer aber sei das nicht die Regel, sagt Katharina Lameter von der Tierschutzorganisation Pro Wildlife. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher sei die Herkunft der Tiere oft nicht nachvollziehbar, weil die Händler dazu mitunter keine Angaben machten oder diese umdeklariert werde.
Problem für den Artenschutz
Ein enormes Problem für den Artenschutz sei auch, dass gerade seltene oder neu entdeckte Arten beliebt seien, sagt Lameter. Besonders gefragt seien auch spezielle Züchtungen, für die viel mehr Geld verlangt werden könne. »Genau wie bei Hunden gibt es Modetrends. Das Tier soll eine besondere Optik haben«, sagt sie. Das könne aber zu Qualzuchten führen, wenn man Reptilien zum Beispiel die Schuppen wegzüchte oder die Farben und Muster der Tiere verändere, wodurch neurologische Probleme entstehen könnten.
»Dieser Trend mit den Farbmorphen ist aus Asien und den USA herübergeschwappt und ist mit viel Geld verbunden«, erzählt Markus Baur von der Auffangstation für Reptilien in München. »Es gibt Halter, die Tiere wie Briefmarken sammeln und davon träumen, eine bestimmte Farbe zu züchten.« Ein Tier mit einer anderen Scheckung oder einem besonderen Farbton könne mehrere Zehntausend Euro wert sein. Doch sobald anderen das auch gelinge, sei der Preisverfall exorbitant.
Die vergangenen Trends bekommt er auch in der Auffangstation zu spüren. »Wir haben immer das bekommen, was nicht mehr angesagt ist.« Doch die meiste Arbeit habe der Verein mit Arten wie bestimmten Schildkröten, Kornnatter, Königspython, Boa constrictor, Leopardgecko und Bartagame - also solchen, die es massenhaft im Handel gibt, zum Teil sogar in Baumärkten oder Gartencentern.
»Ein Reptil sollte man nicht wie eine Blume kaufen können«
Solche Angebote sieht der Tiermediziner Michael Pees eher kritisch. Er ist Direktor der Klinik für Heimtiere, Reptilien und Vögel der Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Bei der Arbeit treffe er neben gut informierten Tierhalterinnen und -haltern immer wieder auf solche, die die Bedürfnisse der Reptilien nicht kennen - darunter gar einige, die noch nicht einmal wissen, was für ein Tier sie genau halten.
»Ein Reptil sollte man nicht wie eine Blume kaufen können«, findet er. Das befördere Spontankäufe und suggeriere, dass die Haltung einfach sei. Hinzu kommt, dass manche Tiere mit der Zeit immens wachsen - und damit die Probleme. Eine Python-Schlange könne zum Beispiel über vier Meter lang werden, erläutert Pees.
Dann kommt es vor, dass Auffangstationen wie die in München die exotischen Tiere überforderter Besitzerinnen oder Besitzer übernehmen müssen. Manchmal werden diese auch einfach ausgesetzt. Die Tierklinik von Pees bekommt häufiger Anrufe von der Müllabfuhr, weil Mitarbeitende Kartons mit Reptilien neben den Tonnen entdecken, wie er erzählt. Auch in der öffentlichen Toilette der Klinik seien schon Schildkröten abgestellt worden. Und regelmäßig berichten Medien darüber, dass die Feuerwehr irgendwo eine exotische Schlange einfangen musste.
Handel verlagert sich in soziale Netzwerke
Reptilien-Fan Mägdefrau ärgert sich über solche Fälle. »Die schwarzen Schafe machen Schlagzeilen.« Dadurch gerate die ganze Terrarien-Branche in Verruf. Auch Baur von der Auffangstation meint: Der Großteil der Halterinnen und Halter sei verantwortungsbewusst. »Die wenigsten halten Schlangen, um ihr Ego aufzupolieren oder als bloßes Accessoire im Wohnzimmer.«
Ein großes Problem sieht das Bundesamt für Naturschutz im Internet. Dort verlagert sich der Handel zunehmend in soziale Netzwerke. In geschlossenen Gruppen oder über private Chats von Messenger-Diensten könnten geschützte Tiere angeboten werden, ohne dass die Behörden dies kontrollieren könnten, teilt das Bundesamt in Bonn mit. Deshalb ist eine Taskforce geplant, die den illegalen Online-Handel mit geschützten Arten bekämpfen soll.
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