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Nur noch wenige Wunder - Mehr als 35.000 Erdbeben-Tote

Eine Woche nach den verheerenden Erdbeben werden in einem Wettlauf gegen die Zeit weiter Überlebende aus den Trümmern geborgen. Die internationale Hilfe läuft, es gibt auch Selbstkritik.

Erdbebenkatastrophe in der Türkei
Ein Mann läuft mit seinen Habseligkeiten über Erdbebentrümmer in Antakya. Foto: Shadati
Ein Mann läuft mit seinen Habseligkeiten über Erdbebentrümmer in Antakya.
Foto: Shadati

Eine Woche nach der Erdbeben-Katastrophe in der Türkei und Syrien bergen die Rettungskräfte Tausende neue Todesopfer. Es gibt kaum noch Hoffnung, Überlebende unter den Trümmern eingestürzter Gebäude zu finden. Trotzdem wurden auch am Sonntag Menschen lebend gerettet - so ein sieben Monate altes Baby. Doch diese Wunder werden immer seltener, je mehr Zeit verstreicht. Mehr als 35.000 Tote wurden bis Sonntag offiziell bestätigt. Die UN befürchten weitaus höhere Zahlen.

Betroffene sollen nun über ein unbürokratisches Visaverfahren die Möglichkeit erhalten, zeitweise bei Angehörigen in Deutschland unterzukommen.

Sieben Monate alter Junge gerettet

Normalerweise kann ein Mensch höchstens 72 Stunden ohne Wasser auskommen. Hinzu kommen winterliche Temperaturen. Doch Meldungen wie diese geben den Rettern Mut: Nach 140 Stunden unter den Trümmern wurde der sieben Monate alte Junge in der türkischen Provinz Hatay lebend gerettet, wie der Staatssender TRT berichtete. Helfer hätten das Kind weinen gehört und seien so auf es aufmerksam geworden. In der Stadt Kahramanmaras wurde ein neun Jahre alter Junge nach rund 120 Stunden gefunden. Am Wochenende gab es einige dieser Wunder.

Bislang sind im syrisch-türkischen Grenzgebiet mehr als 35.000 Menschen ums Leben gekommen. Allein in der Türkei starben mindestens 29.605. In Syrien gibt es nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den Rebellengebieten im Nordwesten mindestens 4500 Tote, in Regionen unter Regierungskontrolle etwa 1400.

Mehr als 85.000 Menschen wurden zudem in den beiden Ländern verletzt. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths rechnete sogar mit bis zu 50.000 Toten und mehr, wie er dem Sender Sky News im Erdbebengebiet Kahramanmaras sagte. Die Türkei spricht inzwischen von einem Jahrhundert-Erdbeben.

Die syrischen Staatsmedien veröffentlichten seit Donnerstag keinen neuen Stand zu den Todesopfern. Diese Zahlen steigen in Syrien deutlich langsamer als in der Türkei, was auch daran liegen dürfte, dass viele Opfer in Syrien mangels passender Geräte und Ausrüstung noch nicht aus den Trümmern gezogen werden konnten. Zudem lag das Epizentrum im Nachbarland Türkei.

UN-Koordinator räumt Fehler ein

Vor allem die Türkei wird von internationalen Hilfsteams unterstützt. Laut Außenministerium sind mehr als 8000 ausländische Helfer vor Ort. Im Nordwesten Syriens in den Rebellengebieten bekam die Rettungsorganisation Weißhelme Unterstützung aus Katar. In Syrien läuft seit fast zwölf Jahren ein Bürgerkrieg. Das erschwert die Hilfe für die Betroffenen enorm. UN-Nothilfekoordinator Griffiths räumte bei Twitter ein: »Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen.«

Über das Wochenende fuhren mehr als 20 weitere Lastwagen an die türkisch-syrische Grenze, um Güter unter anderem von der WHO und dem UN-Kinderhilfswerk Unicef in den Nordwesten Syriens zu bringen.

Papst Franziskus zeigte sich betroffen. Er sagte in Rom: »Ich habe die Bilder dieser Katastrophe gesehen, den Schmerz der Leute, die so leiden nach dem Erdbeben. Beten wir für sie, vergessen wir sie nicht und lasst uns überlegen, was wir noch für sie tun können.«

Sorgen um Sicherheit

Neben der ohnehin gefährlichen Arbeit zwischen den Trümmern bereitet den Rettungsteams ein anderer Aspekt Sorgen: »Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein«, sagte Oberstleutnant Pierre Kugelweis vom österreichischen Bundesheer am Samstag der Nachrichtenagentur APA. Nach einer Unterbrechung setzten die Soldaten ihre Arbeit fort. Die türkische Armee habe den Schutz der Einheit übernommen.

Auch deutsche Einsatzkräfte vom Technischen Hilfswerk (THW) und der Hilfsorganisation I.S.A.R Germany unterbrachen ihre Arbeit, bleiben aber vor Ort, um bei konkreten Hinweis auf Überlebende auszurücken. I.S.A.R-Einsatzleiter Steven Bayer sagte: »Es ist festzustellen, dass die Trauer langsam der Wut weicht.« Viele Überlebende sind traumatisiert und trauern um Familienmitglieder. Die beiden Organisationen teilten zudem am Sonntag mit, ihren Einsatz nun planmäßig zu beenden. Die Abreise sei für Montag geplant.

Seuchengefahr wächst

Und nun droht auch noch die Gefahr von Krankheiten. »In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen«, sagte Thomas Geiner, erdbebenerfahrener Mediziner und Teil des Teams der Katastrophenhelfer vom Verein Navis. Die Menschen leiden noch immer unter eisigen Temperaturen. Ein Reporter des Senders CNN Türk sagte, in der Provinz Hatay mangele es an Heizgeräten. Zwar gebe es Zelte, aber diese könnten nicht aufgewärmt werden. Zudem würden mobile Toiletten dringend benötigt.

Am frühen Montagmorgen (6.2.) hatte ein Beben der Stärke 7,7 das Grenzgebiet erschüttert, gefolgt von einem weiteren Beben der Stärke 7,6 am Mittag. Seither gab es bis Samstag mehr als 2000 Nachbeben in der Region, wie die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad mitteilte.

Festnahmen in der Türkei

Im Süden der Türkei wurden mehrere Haftbefehle erlassen. Die Beschuldigten sollen für Baumängel verantwortlich sein, die den Einsturz der Gebäude begünstigt hätten, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Strafverfolger. Experten kritisieren, dass erdbebensichere Bauvorschriften zwar auf dem Papier bestehen, aber nicht umgesetzt werden. Die Opposition macht die Regierung für den Pfusch am Bau mitverantwortlich - es gebe nicht ausreichend Kontrollen, lautet etwa die Kritik.

Visa-Erleichterungen für Betroffene

Bei den Bemühungen um mehr Hilfe will die Stadt Berlin eine Hilfsbrücke einrichten. Die Bundesregierung will zudem ein unbürokratisches Visaverfahren für Betroffene ermöglichen, damit sie zeitweilig zu Familienangehörigen in Deutschland unterkommen können. Das Auswärtige Amt teilte dazu mit: »Ziel ist es, das Visaverfahren für diese Fälle so unbürokratisch wie möglich zu machen.«

© dpa-infocom, dpa:230211-99-558887/23