Genau 50 Jahre nach dem grandiosen Comicband »Streit um Asterix« ergreift wieder kollektives Gefühlschaos das gallische Dorf. Doch in »Die Weiße Iris« - ab diesem Donnerstag im Handel - sind es nicht wie damals Wut und Neid, die die öffentliche Ordnung gefährden. Nein, Sanftmut, Achtsamkeit und politische Korrektheit überwuchern wie geistiger Mehltau die Freunde von Asterix und Obelix.
Als Influencer, der jeden Menschen einzeln beglückt, schleimt sich der römische Militärarzt Visusversus durch das Dorf. Er gewinnt das Vertrauen der Menschen, unterzieht sie einer Gehirnwäsche. Irgendwann sind die einst rauflustigen Dörfler alle Weicheier. Natürlich handelt es sich um einen Versuch Roms, die Kampfkraft der Gallier zu brechen.
Visusversus verbreitet schräge Glückskeks-Weisheiten wie »Jedes Problem hört auf, eines zu sein, sobald es keine Lösung dafür gibt.«
Der spröden Gutemine bescheinigt der schmierige Römer: »Du funkelst und schillerst«. Verleihnix - der »edle Händler mit dem Seetangbukett« - wird von ihm bekehrt, regionalen Fisch zu verkaufen. Am nächsten Tag sind die Fliegen über der Ware verschwunden. Selbst die Wildschweine im Wald wollen kuscheln. Alle haben sich lieb.
Niemand will mehr den Barden Troubadix verkloppen. Asterix und Obelix schwant nichts Gutes. Sie fallen nicht auf die Bewegung der weißen Iris herein. Und schon bald wird klar, was Visusversus geplant hat.
Das Wichtigste an diesem Band ist wohl der neue Autor. Fabrice Caro ist in Frankreich unter dem Künstlernamen Fabcaro enorm erfolgreich. Sein Comic »Zaï zaï zaï zaï« verkaufte sich mehr als 180.000 Mal. Für den 50-Jährigen kam das Angebot, das Szenario des 40. Albums zu entwerfen, völlig überraschend: »Das war surreal.«
Fabcaro ersetzt als Autor Jean-Yves Ferri, der nach fünf Bänden dieses Mal nicht mitwirkte. Das war wohl nur eine Frage der Zeit. Seit 2013 mühte sich Ferri redlich, dem wichtigsten Comic Europas gemeinsam mit Zeichner Didier Conrad neues Leben einzuhauchen. Conrad hatte dabei vielleicht die leichtere Aufgabe: Er zeichnet bis heute sehr genaue Kopien der beliebten Helden in dem Stil, wie sie in den 1960ern und 1970ern schon aussahen, oft sogar in denselben Posen.
Ferri hingegen plante Neues. Viele Leser wünschten sich Szenarien, die dem Asterix der Nachkriegszeit mehr geähnelt hätten. »Das stört mich schon«, sagte Ferri 2021 offen in einem dpa-Interview. »Der Grundgedanke ist doch, dass man diese Serie weiterführt. Man muss sich ein bisschen davon lösen. Man kann keine exakte Kopie abliefern.« Die Kritik von Teilen der Fangemeinde riss nie ab: Die Abenteuer hätten zu wenig Witz, die Handlung sei teils verstolpert.
»Die weiße Iris« lehnt sich wieder stärker an die frühen Bände von Albert Uderzo und René Goscinny an, was vielen Fans entgegenkommen dürfte. Es gibt mehrere Rückbezüge auf alte Abenteuer wie »Asterix und der Kupferkessel« und »Die Lorbeeren des Cäsar«. Fabcaro richtet den Blick wieder stärker in das gallische Dorf, statt die Helden mit den Flügelhelmen in immer neue ferne Gebiete zu schicken. Phänomene der Gegenwart wie E-Scooter werden ganz unauffällig eingeschmuggelt.
In dem Schlagabtausch zwischen Fischhändler Verleihnix und Schmied Automatix über die Ware in der Auslage findet der Autor auch wieder sehr gut in die Sprache: »Frisch? Ha! Ha!«, flachst der Gallier mit dem Hammer. »Die haben das Meer so lange nicht gesehen, wenn die aufwachen würden, bräuchten die erst mal Schwimmunterricht.«
Die Zeichnungen stammen weiterhin von Didier Conrad, der bei seinem sechsten Band zu bester Routine gefunden hat und sich zuweilen sogar an kleine Experimente wagt: Selten sah man Obelix so wutverzerrt.
© dpa-infocom, dpa:231026-99-704878/2