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Mutter kämpft für »anders Begabte«

Wie Sajida Rahman Danny mit einer Berufsschule die Gesellschaft des südasiatischen Landes verändert

Ishaba Hafiz Sushmi zeigt stolz eine von ihr gefertigte Kette.
Ishaba Hafiz Sushmi zeigt stolz eine von ihr gefertigte Kette. Foto: Emanuel K. Schürer
Ishaba Hafiz Sushmi zeigt stolz eine von ihr gefertigte Kette.
Foto: Emanuel K. Schürer

DHAKA. Berufsausbildung für geistig Behinderte? In Bangladesch war das bis vor wenigen Jahren kein Thema, eher ein Tabu. Wurde in eine Familie ein Kind mit Down-Syndrom, Autismus oder einer anderen neurologischen Störung geboren, dann galt das als Schande. Dann kam Sajida Rahman Danny und begann, das zu ändern. Aufgrund eigener Erfahrungen als Mutter gründet sie die erste Berufsschule für geistig Behinderte in Bangladesch und engagiert sich als Präsidentin des »Parent Forum for Differently Able« (ungefähr: »Elternforum für die anders Begabten«) leidenschaftlich für einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft des südasiatischen Landes.

Seit 2014 können in der PFDA-Berufsschule in der Hauptstadt Dhaka nun junge Menschen mit intellektuellen Defiziten eine Ausbildung absolvieren. »Differently able, not disabled« (deutsch etwa: »Anders begabt, nicht behindert«) heißt ein Motto der Schule. »Wir fördern ihre Begabungen und bereiten sie auf ein möglichst selbstständiges Leben vor«, erklärt eine Lehrerin. 80 bis 90 Auszubildende im Alter von zwölf Jahren aufwärts werden zugleich unterrichtet. Sechs bis acht Stunden pro Tag verbringen sie an der Schule, ansonsten leben sie weiter bei ihren Familien. Für die Gesellschaft des armen, mehrheitlich muslimischen Entwicklungslandes ist das ein großer Schritt. »Diese Menschen sind in der Gesellschaft verachtet. Oft werden sie von ihren Familien versteckt«, berichtet ein Schul-Mitarbeiter.

Die Gründerin der PFDA-Berufsschule Sajida Rahman Danny hat selbst »einen Sohn mit speziellen Eigenschaften«, wie sie im Gespräch mit deutschen Journalisten in ihrem Büro in Dhaka berichtet. Ihr Sohn habe sie motiviert, ihren Beruf aufzugeben und sich für Behinderte zu engagieren. »Mein Sohn ist mein bester Lehrer«, sagt Rahman. Das Projekt, das unter anderem von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen unterstützt wird, ist nicht profitorientiert. »Als Mutter musste ich das tun, denn mein Sohn wuchs zwar heran, aber es gab für ihn in der Gesellschaft keine Unterstützung, um ihn ins Berufsleben einzugliedern.«

»Wer kein Geld verdient, wird nicht respektiert«

Sie selbst, berichtet Sajida Rahman Danny, hatte »eine wirklich harte Zeit«, weil sie sich einerseits um ihren Sohn kümmern musste und andererseits auch anderen Müttern in ähnlicher Lage helfen wollte, die täglichen Schwierigkeiten zu überwinden. Einer Studie zufolge sind in Bangladesch zwei von vier Müttern eines geistig behinderten Kindes schwer depressiv, sagt die Schulgründerin. »Wie soll eine depressive Mutter ihrem Kind helfen?« Der Hintergrund der Depressionen ist ihr zufolge, dass diese Kinder in der eigenen Familie – vor allem von den Vätern und Geschwistern – nicht akzeptiert werden.

Auch die Mütter sind in einer schwierigen Lage, weil sie wirtschaftlich nicht so stark sind, dass sie es wagen, für ihr Kind einzustehen und gegen die Vorurteile zu kämpfen, sagt Danny. »Daher kommen Frustration, Depression und das ganze Drama.« Eine große Zahl von Vätern verlässt die Familie und geht einfach weg. Viele Mütter verdrängen, dass ihr Kind anders ist, weil sie das nicht ertragen. Und viele sind auch damit überfordert, mit den speziellen Bedürfnissen dieser Kinder umzugehen, so die Beobachtung der Schulleiterin. Zahlreiche behinderte Kinder werden innerhalb ihrer Familie sexuell missbraucht, die Mädchen aber auch die Jungen, berichtet Sajida Rahman Danny. Vieles liege da auch noch im Dunkeln.

Das erste Ziel der speziellen Berufsschule sei es nun, das Selbstbewusstsein der jungen Menschen zu stärken. »Wir müssen sie vorbereiten, damit sie sich überhaupt in die Gesellschaft hinaus wagen können«, sagt Danny. »Andernfalls werden sie diskriminiert, ausgebeutet und missbraucht.« Zunächst gilt es, die Talente, Fähigkeiten und Defizite der Einzelnen zu identifizieren, um dann eine passende Beschäftigungsmöglichkeit zu finden. Manche backen, andere stellen Schmuck her, manche lernen Verkäufer, bedrucken Batik-Stoffe oder programmieren Computer. Es gibt sogar Sänger und Tänzer. Die Ausbildung dauert zwei bis drei Jahre, manchmal auch länger, je nach den speziellen Fähigkeiten.

»Wir haben erkannt, dass derjenige, der in dieser Gesellschaft kein Geld verdient, nicht respektiert wird«, sagt Rahman Danny. Inzwischen gibt es die ersten Erfolge. Die Konditorei und Bäckerei des Projekts ist so erfolgreich, dass sogar viele Ministerien dort bestellen. Und eine Handelskette hat zugesagt, in jedem ihrer Shops zwei Verkäufer aus dem Projekt zu beschäftigen.

»Als wir mit dem Projekt anfingen, war das in der Gesellschaft etwas ganz Neues. Niemand glaubte, dass diese Menschen jemals arbeiten könnten, nicht einmal ihre Eltern.« Es ging um einen Bewusstseinswandel, um eine Änderung sozialer Normen, betont die engagierte Mutter. Inzwischen hielten es aber immer mehr Menschen für möglich, die »anders Begabten« ins Arbeitsleben zu integrieren. Der Bewusstseinswandel hat begonnen. Auch Sajida Rahman Dannys ganz persönliche Geschichte verläuft positiv.

Ihr Sohn, der anfangs nicht sprechen konnte und viele weitere Störungen aufwies, ist inzwischen 25 Jahre alt. Er wollte immer er selbst sein und hat um seine Identität gekämpft, sagt seine Mutter. Es habe aber allein zwei Jahre gebraucht, bis er den Bus ohne ihre Begleitung benutzen konnte, weil er den Schweißgeruch fremder Menschen nicht ertrug und sich nicht gegen Diebstähle wehren konnte. Nun arbeitet ihr Sohn im Duty-free-Shop am Flughafen von Dhaka, sagt Sajida Rahman, ganz stolze    Mutter.  (GEA)