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Mutmaßlich eingesperrtes Mädchen - Zeugenvernehmungen

Kein Kindergarten, keine Schule: Im Sauerland soll einem Mädchen ein Großteil seiner Kindheit geraubt worden sein. Mutter und Großeltern wird vorgeworfen, es seit Jahren in einem Haus festgehalten zu haben.

Attendorn
Im nordrhein-westfälischen Attendorn soll ein Mädchen nahezu sein gesamtes Leben lang festgehalten worden sein. Foto: Franz-Peter Tschauner
Im nordrhein-westfälischen Attendorn soll ein Mädchen nahezu sein gesamtes Leben lang festgehalten worden sein.
Foto: Franz-Peter Tschauner

Ein acht Jahre altes Mädchen soll nahezu sein gesamtes Leben lang in einem Haus im Sauerland festgehalten worden sein. Die Staatsanwaltschaft in Siegen ermittelt gegen die Mutter des Kindes und die Großeltern, wie Sprecher Patrick Baron von Grotthuss am Wochenende sagte.

Man gehe davon aus, dass diese Personen dem Mädchen nicht ermöglicht hätten, »am Leben teilzunehmen« - nicht am Kindergarten, nicht an der Schule und nicht am Spiel mit anderen Kindern. Das Mädchen habe mutmaßlich knapp sieben Jahre lang in dem Haus der Großeltern im Ort Attendorn gelebt, ohne es verlassen zu dürfen. Mehrere Medien hatten über den Fall berichtet.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll die Mutter beim Jugendamt einst angegeben haben, dass sie samt Kind nach Italien umziehe. Der Vater lebe getrennt von der Familie. Das Jugendamt habe dann allerdings Hinweise erhalten, dass sich das Mädchen gar nicht in Italien aufhalte. Italienische Behörden hätten anschließend bestätigt, dass Mutter und Kind nicht vor Ort seien - und wohl auch nie dort gewesen seien.

Hintergründe sind noch unklar

Daher sei das Jugendamt mit der Polizei im September an dem Haus vorstellig geworden. »Man musste mit richterlichem Beschluss rein«, erklärte Oberstaatsanwalt Baron von Grotthuss. Beamte hätten erzählt, dass ihnen das Kind - es sei nun fast schon neun Jahre alt - dann auf der Treppe entgegengekommen sei.

Die Hintergründe sind noch völlig unklar. Mutter und Großeltern machen nach Angaben der Ermittler von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch. Daher tappe man noch im Dunkeln, »was da möglicherweise in den Köpfen der Menschen vorgegangen ist«, wie Baron von Grotthuss sagte. Die Zeugenvernehmungen im Umfeld seien auch noch nicht abgeschlossen. Man versuche »irgendwie die Motivlage« zu beleuchten, sagte Baron von Grotthuss am Sonntag. Vorgeworfen werden Mutter und Großeltern Freiheitsberaubung und Misshandlung von Schutzbefohlenen.

Attendorn liege auf dem Land, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft. »Man denkt ja, die Sozialkontrolle funktioniert da noch«, sagte er. Aber selbst die Nachbarn hätten nicht gewusst, dass Mutter und Kind im Haus gewesen seien.

Mädchen jetzt bei einer Pflegefamilie

Das Mädchen sei nun in einer Pflegefamilie untergebracht. Hinweise auf eine körperliche Misshandlung oder Unterernährung gebe es momentan nicht. »Allerdings haben wir die Situation, dass es die Außenwelt nicht gesehen hat«, sagte Baron von Grotthuss.

Bereits gestellt sei ein Antrag, für das Kind einen sogenannten gerichtlichen Ergänzungspfleger beizuordnen. »Die Eltern können ja nicht mehr für das Kind entscheiden, zumindest die Mutter jetzt nicht«, erklärte er. Dafür müsse ein Familiengericht jemanden bestimmen, um die Interessen des Mädchens wahrzunehmen.

Der nächste Schritt wäre dann eine Begutachtung des Kinds, sagte Baron von Grotthuss. Mit »hoher Wahrscheinlichkeit« wolle man zudem die Mutter begutachten lassen - und gegebenenfalls alle Beschuldigten.

© dpa-infocom, dpa:221105-99-397170/6