Mussten zwei Kinder sterben, weil zwei Erwachsene einander beweisen wollten, wer das schnellere Auto fährt? Unter anderem wegen Mordes steht eine 40-Jährige vor dem Landgericht Hannover. Der Frau wird vorgeworfen, sich im Februar 2022 hinter dem Ortsausgang von Barsinghausen ein verbotenes Autorennen mit einem 40-Jährigen geliefert zu haben.
Etwa 500 Meter soll sie auf der Gegenfahrbahn gerast ein, um ihren Rivalen zu überholen, zunächst auf gerader Strecke. Beim Einscheren in einer Kurve - mit bis zu 180 Stundenkilometern - verlor sie laut Anklage die Kontrolle. Es kam zu Zusammenstößen mit entgegenkommenden Autos.
Der Wagen einer vierköpfigen Familie wurde auf eine Pferdekoppel geschleudert - »wie eine Billardkugel«, sagte eine Polizistin am Freitag. Die zwei und sechs Jahre alten Söhne auf der Rückbank starben, »obwohl sie altersgerecht angeschnallt« waren, wie die Staatsanwältin betonte. Deren Eltern und der Fahrer eines anderen Autos wurden schwer verletzt. Auf der Strecke war Tempo 70 erlaubt. Alkohol oder Drogen wurden bei den Tatverdächtigen nicht nachgewiesen. Beide sind selbst Eltern, waren freitagnachmittags auf dem Heimweg von der Arbeit.
Die Angeklagte zeigt Reue
»Ich möchte mich bei allen Geschädigten sowie bei den Hinterbliebenen aufrichtig entschuldigen, obwohl mir klar ist, dass diese Reue den Unfall nicht ungeschehen machen kann«, sagte die Angeklagte unter Tränen. Sie war im September in Polen festgenommen worden und sitzt in Untersuchungshaft. »Im ersten Moment war ich froh, selbst lebend, wenn auch schwer verletzt, aus dem Wrack gekommen zu sein.« Als der Schock nachließ, habe sie sich gewünscht, anstelle der beiden Kinder gestorben zu sein. »Es war kaum erträglich, mit dieser Schuld zu leben, zumal ich selbst drei Kinder habe.«
Sie bestritt aber, mit dem mitangeklagten anderen Autofahrer ein Rennen veranstaltet zu haben. »Ich hatte keinerlei Intention, mich mit irgendjemandem zu messen«, betonte die Polin, eine zierliche Frau mit langen Haaren, die schon ein Enkelkind hat. Der ihr unbekannte andere Fahrer habe wider Erwarten beschleunigt, als sie das Überholmanöver eigentlich beenden wollte. In dem Moment habe sie die falsche Entscheidung getroffen - sie habe Angst gehabt, in der Kurve abzubremsen.
Dem 40-Jährigen wird unter anderem Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Er ließ durch seine Verteidiger eine Erklärung verlesen. Demnach hatte er auf gerader Strecke Musik gehört und war in Gedanken bei seiner Familie. Den Wagen der Frau will er erst wahrgenommen haben, als die Motorhaube links neben ihm auftauchte. Dann habe er gebremst, um dem überholenden Fahrzeug Platz zu machen. Den Eltern der getöteten Brüder sprach der Angeklagte sein »aufrichtiges Mitgefühl« aus.
Schwierige Beweisführung
Knackpunkt des Verfahrens wird dem Vorsitzenden Richter zufolge jetzt sein, ob ein Tötungsvorsatz festgestellt wird. Laut Anklage soll die 40-Jährige einen Unfall mit tödlichem Ausgang für die Insassen der ihr entgegenkommenden Fahrzeuge billigend in Kauf genommen haben. Zur Tatbegehung sei der eigene Pkw verwendet und damit das Mordmerkmal des Einsatzes eines »gemeingefährlichen Mittels« erfüllt worden. In Bezug auf die verletzten Insassen der anderen Autos wird ihr gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.
Beide Angeklagte müssen sich zudem wegen der Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge sowie Gefährdung des Straßenverkehrs verantworten. Sie saßen beide am Steuer hochmotorisierter Fahrzeuge, sie fuhr eine Limousine mit rund 250 PS, er einen SUV mit 310 PS als Dienstwagen.
Rettungswagen, Hubschrauber, Polizei und Feuerwehr waren am 25. Februar 2022 schnell am Unfallort. Helfer versuchten vergeblich, den Zweijährigen dort zu reanimieren, der Sechsjährige starb wenige Stunden später im Krankenhaus. Von dem Unfallgeschehen gibt es auch ein Video aus einer Dashcam, die an einem Auto angebracht war, das hinter dem durch die Luft geschleuderten Familienwagen fuhr.
Am 2. März sollen Zeugen des mutmaßlichen illegalen Rennens und des anschließenden Horror-Unfalls vernommen werden. Für den Prozess sind insgesamt zehn Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil könnte nach dieser Planung am 30. März gesprochen werden.
© dpa-infocom, dpa:230224-99-718828/7