Wenn die Werbeslogans in den Schaufenstern der Blumenläden eindringlicher werden, die Kinder in Kitas und Schulen eifrig Herzen basteln und die Fernsehwerbespots vor Glück strahlende Mamas zeigen, dann ist es wieder so weit: Muttertag. Diesmal fällt er auf den 14. Mai.
Vor 100 Jahren - 1923 - gab es ihn erstmals in Deutschland. Seinen Ursprung hat er in den USA, damals ging es nicht um Kommerz, sondern um Mütterrechte und Feminismus. Am Muttertag in seiner heutigen Form gibt es viel Kritik.
»Auf Müttern lastet noch immer sehr stark die gesellschaftliche Erwartung, sie hätten kindzentriert zu sein, sonst seien sie keine guten Mütter«, sagt Elternforscherin Désirée Waterstradt von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. »Dafür ist der Muttertag ein Symbol - die Mutter ist moralisch am Haken.« Mütter seien heute in einem Maße kindzentriert, dass es sie erdrücke. Mit Blick auf die Rolle der Väter sagt sie: »Es verändert sich etwas, aber es verändert sich nicht so schnell, wie wir glauben.«
Zwischen Erwartung und Realität
Hin und wieder äußern sich prominente Frauen zu den schwierigen Seiten der Mutterschaft. Silbermond-Frontfrau Stefanie Kloß sagte kürzlich in der Vox-Musikshow »Sing meinen Song«: »Mütter sind unter so einem krassen Spotlight.« Es werde so viel von ihnen erwartet, obwohl sie schon selbst so viel von sich erwarteten. »Es gibt kein Handbuch, wo drinsteht, das macht die perfekte Mutter, egal, wie viele Erziehungsratgeber es gibt - sondern, du musst es jeden Tag neu lernen, was es heißt - einfach für dich - eine gute Mutter zu sein.«
Schauspielerin Wolke Hegenbarth sprach in einem Interview mit dem »Spiegel« davon, sich in der Zeit mit Baby wahnsinnig allein gefühlt zu haben. Die Geschichte ende immer damit, dass die Frau ihr Baby bekomme und glücklich sei. »Was danach passiert, darüber spricht niemand.« Sie wünsche sich mehr Wohlwollen, vor allem unter Müttern.
Judith Holofernes, ehemals Frontfrau der Band Wir sind Helden, beschreibt in ihrem Buch »Die Träume anderer Leute«, wie sie sich zwischen Erwartungen und der Realität mit kleinen Kindern aufrieb: »Ich würde funktionieren. Aber wie! Kinder hin oder her, ich würde das tüchtige, fleißige Mädchen sein, an dem ich so lange gearbeitet hatte.« Das Touren mit Kindern klappt allerdings nicht so reibungslos wie gedacht, laugt sie aus bis zur Erschöpfung.
»In westlichen Gesellschaften gibt es mit Blick auf Mütter so ein mulmiges Gefühl, aber den Umgang mit Müttern und wie es ihnen geht, hinterfragt man nicht«, sagt Elternforscherin Waterstradt. »Der Muttertag ist ein Ausdruck des schlechten Gewissens - das besänftigt man, indem man einmal im Jahr sagt: Blumen, Schokolade, und dann ist aber auch gut.«
Die Anfänge des Muttertags liegen in den USA. Eine wichtige Rolle spielten dabei Anna Maria Reeves Jarvis und ihre Tochter Anna Jarvis. »Reeves Jarvis, die Gründerin der Mütterbewegung, hatte im 19. Jahrhundert gemerkt: Die Mütter sind am schlimmsten dran, sie haben ein viel größeres Problem als Frauen allgemein«, sagt Waterstradt, die zum Muttertag geforscht hat. Reeves Jarvis habe 1865 einen Mütter-Freundschaftstag als Netzwerk für Mütter organisiert.
Schnelle Kommerzialisierung
Ihre Tochter Anna Jarvis zelebrierte demnach 1908, drei Jahre nach dem Tod der Mutter, zu Ehren deren Engagements einen ersten Muttertag. »Die Wurzeln in der Frauenbewegung werden heute völlig vergessen«, sagt die Elternforscherin. US-Präsident Woodrow Wilson führte den zweiten Sonntag im Mai 1914 als nationalen Ehrentag für Mütter ein. Schnell wurde er kommerzialisiert, wogegen Anna Jarvis hart, aber vergeblich ankämpfte.
Bald darauf kam die Idee in Europa an, zunächst in der Schweiz und in Skandinavien. In Deutschland gab es den ersten Muttertag am 13. Mai 1923. Statt feministischer Motive steckten dahinter kommerzielle Interessen - er wurde vom »Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber« initiiert.
Über den Muttertag in der NS-Zeit sagt Waterstradt, die deutsche Mutter sei kalt instrumentalisiert, propagandistisch überhöht und überwacht worden - mit dem nationalsozialistischen Ziel der Weltherrschaft der »arischen Rasse«. Der »Tag der deutschen Mutter« sei zum Staatsfeiertag erhoben worden.
Was wird aus dem Muttertag?
Heute fragen sich viele, wie sie den Muttertag zeitgemäß begehen können. Braucht es ihn überhaupt noch? »Ich glaube, dass wir den Muttertag umwidmen sollten in einen Elterntag, sonst schieben wir der Mutter eine Verantwortung zu, die sie allein nicht wahrnehmen kann und auch nicht wahrnimmt«, sagt Familien- und Bildungsforscher Wassilios Fthenakis.
Auch der Vatertag könne auf diese Weise umgewidmet werden. »Elterntag als Tag der Liebe, des Miteinanders, des Verständnisses und Respekts.« Keine Gesellschaft könne ohne die Eltern bestehen. »Wir werden mit einem Modell nicht die ganze Vielfalt abbilden, aber den Geist, der dahintersteckt.«
Fthenakis betont, Frauen dürften nicht auf ihre Mutterrolle reduziert werden. »Der Muttertag baut Druck auf Frauen auf, die tagsüber keine Zeit haben, sich um die Kinder zu kümmern.« Mit dem Muttertag diktiere die Gesellschaft der Frau, wie sie zu sein habe. »Der Muttertag ist ein Normierungsinstrument.«
Waterstradt sagt zu der Idee eines Elterntags: »Eine Zeit lang habe ich auch gedacht, das sei eine gute Idee. Aber die große Gefahr dabei ist heute, dass man sich sehr modern fühlen möchte und deshalb die evolutionären, historischen und aktuellen Unterschiede von Mutterschaft und Vaterschaft schlicht verdeckt.« Ein Vater könne sich entscheiden, ob er kooperativ, fürsorglich und kindzentriert sein wolle - wenn er sich dagegen entscheide, werde es ihm von der Gesellschaft nicht übel genommen. »Für Mütter ist das völlig anders.«
Aus Waterstradts Sicht sollten sich Mütter wieder auf die Anfänge des Muttertags besinnen: »Wir brauchen wieder eine Mütterbewegung und müssen uns über Mutterschaft Gedanken machen.«
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