Mit brachialem Donnern stürzen Massen an Eis, Schnee und Felsen von einem Gletscher in Norditalien ins Tal: Neben den bislang sechs bestätigten Toten des Gletschersturzes in den Dolomiten befürchten die Rettungskräfte noch gut ein weiteres Dutzend Opfer.
Die Nachrichtenagentur Ansa berichtete unter Verweis auf Rettungskreise von rund 15 Vermissten. Auf dem Parkplatz am Fuße des norditalienischen Bergmassivs Marmolata, von dem die Aufstiegswege losgehen, wurden 16 Autos gezählt, deren Halter noch nicht ausfindig gemacht wurden. »Wir wissen noch nicht, ob die Wagen den toten oder vermissten Personen gehören oder Leuten, die nichts mit dem Unfall zu tun haben«, sagte der Regionalpräsident von Trentino-Südtirol, Maurizio Fugatti.
Mindestens acht weitere Alpinisten wurden nach Angaben der Rettungsleitstelle der Region Venetien verletzt, einer von ihnen schwer. Über die Nationalität wurde zunächst nichts bekannt.
Auf etlichen Handyvideos war zu sehen, wie die Lawine über die Felswände des Massivs ins Tal stürzte. Sie pflügte auch über einen der Hauptzugangswege auf den 3343 Meter hohen Berg, auf dem sich mehrere Seilschaften befanden. Mindestens zwei wurden getroffen.
Ein Sprecher der italienischen Bergrettung sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass zunächst unklar war, ob neben den Seilschaften auch noch einzelne Bergsteiger an den Unglücksstellen unterwegs waren.
Helikopter im Einsatz
Sämtliche Bergretter der Gegend aus den Regionen Venetien und Trentino-Südtirol wurden alarmiert. Fünf Helikopter flogen sie auf den Berg und bargen die Toten und Verletzten. Einige Hundestaffeln kamen zum Einsatz, um nach weiteren Opfern zu suchen.
Wegen der Gefahr von neuen Gletscherstürzen ist die Suche nach weiteren Opfern des Unglücks in den Dolomiten am Boden vorerst unterbrochen worden. Wie die Einsatzkräfte am Sonntagabend mitteilten, wurden die Bergretter von der Flanke des Berges Marmolata abgezogen. Zunächst müsse geklärt werden, wie sicher die Lage für die Helfer sei. Die Helikopter waren indes weiter im Einsatz.
Carlo Budel, der Hüttenwirt der Schutzhütte Capanna Punta Penia, sprach in einem Instagram-Video vom »schlimmstmöglichen Zeitpunkt und Tag, an dem sich der Brocken lösen konnte«. Kurz nach Mittag waren an dem sommerlichen Sonntag unzählige Bergsteigerinnen und Bergsteiger an dem beliebten Massiv unterwegs. Budel forderte alle Alpinisten auf, bis auf Weiteres nicht auf die Marmolata zu kommen. »Bleibt so weit wie möglich von diesem Gletscher weg«, mahnte der Hüttenwirt.
»Wir haben ein lautes Geräusch gehört, typisch für einen Bergsturz«, sagte ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur Ansa. »Danach sahen wir eine Lawine von Schnee und Eis in hoher Geschwindigkeit in Richtung Tal stürzen und wir wussten, dass etwas Schlimmes passiert ist.«
»Das war keine normale Lawine wie im Winter«
Zur Ursache des Unglücks gab es zunächst keine offiziellen Angaben - allerdings deutet alles darauf hin, dass die hohen Temperaturen der vergangenen Tage, Wochen und Monaten eine Rolle spielen dürften. Erst am Samstag wurde nach Medienberichten auf dem Gipfel des Berges ein Rekordwert von zehn Grad gemessen. »So etwas habe ich auf der Marmolata noch nie gesehen. Das war keine normale Lawine wie im Winter«, sagte ein Bergretter. Er verglich das Unglück mit einem Gebäude und sprach von einem »strukturellen Versagen«.
Italien registrierte im vorigen Winter viel weniger Niederschlag als gewöhnlich, der Schnee fehlt vielen Gletschern nun als Schutz gegen die Sonne und die warmen Temperaturen.
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