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Mehr Vielfalt im Spielzeugregal - noch nicht überall

Puppen mit Down-Syndrom, schwarze Feuerwehrfrauen und Skater-Figuren im Stunt-Rollstuhl - vielfältiges Spielzeug gibt es eine ganze Menge. Oft muss man aber gezielt danach suchen. Wieso eigentlich?

Diverses Spielzeug
Vielfältige Puppen, unter anderem verschiedener Hautfarben, Kulturen oder auch mit Down-Syndrom gehören zum Sortiment im Shop Diversity Spielzeug in der Emser Straße in Neukölln. Foto: Jens Kalaene
Vielfältige Puppen, unter anderem verschiedener Hautfarben, Kulturen oder auch mit Down-Syndrom gehören zum Sortiment im Shop Diversity Spielzeug in der Emser Straße in Neukölln.
Foto: Jens Kalaene

In vielen Spielzeuggeschäften türmen sich in den Regalen hellhäutige Babypuppen mit zartem Haarflaum. Schwarze Puppen sind in der absoluten Minderheit. Bei den Barbies dominieren die dünnen, großbusigen Modelle mit blonder Mähne, daneben eine einzige kurvige Barbie und ein Ken im Rollstuhl. Spielwelten bevölkern hauptsächlich Familien mit Mutter, Vater, zwei Kindern. Ähnlich sieht es in Büchern aus.

Einst fanden sich wohl fast alle Kinder in solchen Spielszenarien wieder. Doch die Gesellschaft in Deutschland ist längst bunter und vielfältiger geworden. Die Spielzeughersteller ziehen allmählich nach. Doch die Nische ist noch weit entfernt davon, Normalität zu werden, wie nicht nur ein Blick in Spielzeuggeschäfte zeigt. Auch online muss man auf den Seiten der großen Handelsplattformen oft sehr weit nach unten scrollen, um auf diverse Produkte zu treffen.

Die Berlinerin Mirjam Schröter verbrachte deshalb viel Zeit im Internet, um nach Spielzeugen zu suchen, mit dem sich ihre beiden schwarzen Kinder identifizieren können. »Das stärkt die Persönlichkeit, wenn sie überall zu sehen sind, und gibt ihnen das Gefühl dazugehören«, erläutert die 36-Jährige. Dadurch entstand schließlich 2016 die Idee, selbst einen Online-Shop zu gründen, der all die guten Beispiele bündelt. Vor zwei Jahren ist außerdem ein kleiner Laden in Neukölln dazugekommen.

Viele kleine Anbieter

»Anfangs habe ich viel im Ausland gekauft. Es war viel Suchen und Zusammentragen«, erzählt Schröter. In Katalogen von Großhändlern seien zum Beispiel gerade mal 20 von 600 Produkten infrage gekommen. Doch das habe sich im Laufe der Jahre verändert, sagt sie. Mittlerweile gebe es viele kleine Unternehmen und Verlage, die sich auf diverses Spielzeug und Bücher spezialisiert hätten. Auch die großen Hersteller tasteten sich langsam heran.

»Das haben alle auf den Schirm«, sagt Ulrich Brobeil vom Deutschen Verband der Spielwarenindustrie in Nürnberg. »Ich gehe davon aus, dass das ein Prozess ist, der die ganze Branche ergreift.« Eine Puppe im Rollstuhl zum Beispiel sei aber nach wie vor ein Orchideenprodukt, meint der Münchner Marktforscher Axel Dammler. »Wenn ein Kind ein anderes im Rollstuhl kennt, ist diese für sein Spielen relevant.« Für andere Kinder sei diese dagegen unwichtig. »Das sind Produkte, die machen sich gut auf der Messe oder in der PR. Sie spielen auf dem Markt aber keine Rolle.«

Ähnlich sieht es Steffen Kahnt vom Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels. »Viele Kinder erleben, dass die Menschen in Deutschland mehrheitlich nicht im Rollstuhl sitzen oder eine dunklere Hautfarbe haben.« Sie möchten aber die Welt der Großen möglichst real nachspielen, sagt er. Umso fremder Spielzeug ihrer Lebens- oder Vorstellungswelt sei, umso weniger werde es deshalb gekauft.

Angst vor Ladenhütern

Auch Mascha Eckert vom Spielzeugmuseum in Nürnberg hat festgestellt, dass es Vorbehalte im Handel gibt. Im vergangenen Jahr hat sie eine Ausstellung über Rassismus in Spielzeugen kuratiert und dafür auch nach Positivbeispielen gesucht. Dabei sei ihr aufgefallen, dass es in den Läden nur wenig diversitätssensibles Spielzeug gebe, sagt Eckert. Eine Händlerin habe das damit begründet, dass sie Angst vor Ladenhütern habe.

Für Kinder ist es aus Sicht der Expertin aber wichtig, dass die Heldinnen und Helden in ihrer Spielwelt verschiedene Hautfarben haben, eine Prothese, ein Hörgerät oder Kopftuch tragen und aus Patchwork- und Regenbogenfamilien kommen. Das gebe Kindern, die einer Minderheit angehörten, das Gefühl, von der Gesellschaft gesehen zu werden, erläutert sie. »Wenn es in der Spielzeugwelt ankommt, normalisiert es sich. Ich bin also nicht allein mit dem, was ich bin.« Außerdem lernten Kinder dadurch schon beim Spielen, dass es Menschen gebe, die anders seien als sie selbst.

Was es für Kinder bedeutet, dass sie sich in Spielzeugen selbst wiederfinden, ist dem Pädagogen Volker Mehringer von der Universität Augsburg zufolge noch nicht systematisch erforscht. Spielzeug sei für Kinder aber eine Projektionsfläche, sagt er. »Kinder spielen viel von dem nach, was sie im Alltag erleben. Wenn Spielzeug die Vielfalt in der Gesellschaft nicht abbildet, dann kann sie das auch in ihren Möglichkeiten einschränken.«

Kinder sollten aber immer selbst entscheiden, inwieweit sie diverses Spielzeug nutzten, findet Mehringer. »Es sollte nicht pädagogisch überfrachtet sein, also dass man dem Kind erstmal einen Vortrag hält. Diverses Spielzeug kann aber auch einen Gesprächsanlass bieten.« Dann, wenn Kinder zum Beispiel fragen, wieso die Barbie so helle Flecken auf der Haut hat (die Hautkrankheit Vitiligo) oder die Puppe ein Gerät hinter dem Ohr trägt (eine Hörprothese).

© dpa-infocom, dpa:221211-99-860089/2