Schon mehr als 100 Rampen aus Legosteinen für Rollstuhlfahrer hat Rita Ebel zusammen mit ihren Helfern gebaut und an Kinder mit Behinderungen sowie an Geschäfte und Restaurants verschenkt.
In vielen deutschen Städten und sogar in Frankreich, Italien, Österreich und Spanien sorgen die bunten Auffahrten dafür, dass hohe Stufen vor Läden, öffentlichen Gebäuden oder in privaten Häusern kein unüberwindbares Hindernis für Menschen in Rollstühlen - aber auch mit Rollatoren und Kinderwagen - mehr darstellen.
»Mindestens genauso wichtig wie dieser praktische Nutzen ist mir, dass damit Menschen für das Thema Barrierefreiheit sensibilisiert werden und ihnen vielleicht Stufen auffallen, an denen sie bislang achtlos vorbeigelaufen sind«, betont die 66-Jährige aus Hanau, die seit einem Autounfall vor 29 Jahren selbst auf den Rollstuhl angewiesen ist.
Rampe mit Wunschmotiv
Die »Lego-Oma«, wie sie sich selbst nennt, und ihre acht Helferinnen und Helfer haben gerade eine besondere Legorampe fertiggestellt: Das Exemplar mit der Nummer 103 ist für den dreijährigen Mads gebaut worden, der aufgrund einer Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen ist und mit seiner Zwillingsschwester und seinen Eltern in Rheinland-Pfalz im Landkreis Germersheim lebt. Die beiden schwarzen Hälften der Rampe zeigen in Weiß einen Jungen im Rollstuhl und ein stehendes Mädchen, dazwischen kleine Herzen. Die Idee für dieses Motiv haben Mads' Eltern gehabt.
Normalerweise verschickt die »Lego-Oma« die Rampen mit einem Versandservice, doch die Rampe für den kleinen Mads ist mit rund 18 Kilogramm zu schwer. »Je höher sie ist, desto mehr wiegt so eine Auffahrt«, erklärt Ebel. Also liefert sie gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang (66) das rund 17 Zentimeter hohe Lego-Bauwerk an diesem Wochenende persönlich in der Pfalz ab.
»Es ist immer sehr schön und geht einem ans Herzen, wenn man sieht, wie Kinder das erste Mal über diese Rampe fahren«, sagt sie. So war das auch vor gut drei Jahren bei der ersten Rampe, die die »Lego-Oma« für ein Kind gebaut und nach Hause geliefert hatte. »Mona ist sofort mit ihrem Rollstuhl die Rampe ohne Angst hoch- und runtergefahren. Schon nach dem dritten Versuch hat sie das allein geschafft, obwohl die Rampe recht steil war«, erinnert sie sich zurück. Nun könne das Mädchen, das im Landkreis Unna in Nordrhein-Westfalen lebt, selbstständig in die Wohnung hinein- und wieder herausfahren.
Manche Hürden bleiben eine Herausforderung
Anfangs waren die Rampen bunt zusammengewürfelt mit allem, was an Bausteinen so vorhanden war. Inzwischen machen die Hanauer Baumeister auf Wunsch richtige Muster. Bis zu 50 Stunden kann der Bau einer solchen Rampe dauern. Dazu kommt noch die ganze Organisation vor und rund um den Bau: Wie hoch muss sie genau werden? Wie ist der Untergrund? »Wir bauen nicht höher als 17 Zentimeter Stufenhöhe, sonst wird das unglaublich schwer - und so viele Steine habe ich dann auch nicht«, erklärt Ebel. »Dann baue ich lieber drei andere, kleinere Rampen.«
Leider seien Stufen vor Geschäften oftmals zwischen 17 und 22 Zentimeter hoch. »Das schaffen wir dann nicht.« Würde man die Rampen kürzer machen, um nicht so viele Steine verwenden zu müssen, würden sie zu steil, erklärt Ebel.
Handelsübliche Rampen dürfen laut Ebel aufgrund gesetzlicher Vorgaben nur eine Steigung von höchstens sechs Prozent haben und erreichen daher bei einer Endhöhe von beispielsweise 20 Zentimeter eine beachtliche Länge. Dafür reiche der Platz vor Geschäften oder in Häusern oft nicht aus. Und in solchen Fällen kommen die Rampen aus Hanau ins Spiel, denn die können steiler gebaut werden. »Wir nennen sie jetzt Auffahrhilfen, und für Auffahrhilfen gibt es keine gesetzlichen Vorschriften.« Um sich rechtlich abzusichern, lässt sich das Team »Lego-Oma« beim Ausliefern einer Rampe eine entsprechende Nutzungserklärung unterschreiben.
Inspiriet durch einen Zeitschriftenartikel
Die Idee zu Rampen aus Legosteinen hatte Ebel nicht selbst. Sie habe vor rund vier Jahren erstmals in einer Fachzeitschrift für Menschen mit Querschnittlähmung darüber gelesen und die Autorin um eine Bauanleitung gebeten. Inzwischen bitten viele Menschen Ebel um die von ihr weiterentwickelten Baupläne. Die Anleitungen hat sie mittlerweile in neun Sprachen übersetzen lassen und über 800-mal in die halbe Welt verschickt.
Bei vielen organisatorischen Herausforderungen wird Ebel von der Arbeiterwohlfahrt ihrer Stadt unterstützt, die auch die Trägerschaft für das Projekt übernommen hat. Die Steine für die allererste Rampe wurden von einem Online-Händler gespendet. Inzwischen gibt es viele private Spender in ganz Deutschland, die durch Medienberichte oder in den sozialen Netzwerken Facebook und Instagram auf die »Lego-Oma« aufmerksam geworden sind.
Wenn die gespendeten, gebrauchten Steine in Ebels Wohnung eintreffen, werden sie zunächst vorsortiert und gegebenenfalls gewaschen. Ein Klebstoff-Hersteller stelle dem Team den notwendigen Spezialkleber kostenlos zur Verfügung, damit die Bausteine auch gut halten.
Wassersport begeistert sie
Viele Stunden pro Tag wendet Ebel für ihr Ehrenamt auf. Wenn es die Zeit und die Umstände zulassen, nimmt sich die 66-Jährige gerne eine Auszeit vom Rampenbau und Organisieren - am liebsten beim Sport gemeinsam mit ihrer Tochter Melle. Vor allem aufs Wasser zieht es die »Lego-Oma«: Kanufahren, Stand-Up-Paddling, Kite-Surfen und Wasserskilaufen, zählt sie auf. Beim Behinderten-Wasserskilaufen war sie 2006 sogar einmal Vize-Europameisterin.
Rita Ebel sei »einer unserer sinnvollsten Exportschlager«, würdigt Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) die »Lego-Oma«. Mit den Rampen leiste sie einen hervorragenden Beitrag, die Welt für Menschen barrierefreier zu machen. »Durch ihre kreative Lego-Lösung ermöglicht sie Teilhabe«, betont er. An ihrem 66. Geburtstag vor wenigen Tagen wurde Ebel mit der Bürgerplakette ihrer Stadt ausgezeichnet.
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