Eine ungewöhnliche Warnung erreichte die Bevölkerung südlich von Berlin in der Nacht zu Donnerstag: Eine freilaufende Raubkatze soll in der Gemeinde Kleinmachnow in Brandenburg gesichtet worden sein. Ein nur wenige Sekunden langes Handyvideo eines Zeugen zeigt das Tier dort zwischen Büschen und Bäumen umherschleichen.
Das Video schätzen die Ermittlungsbehörden als echt ein. In der Nacht hätten auch Polizeibeamte die Raubkatze - mutmaßlich eine Löwin - »gesichert« gesehen, sagte eine Behördensprecherin.
Das gesuchte Raubtier wurde inzwischen möglicherweise erneut im Grenzgebiet zwischen Berlin und Brandenburg gesichtet. Das sagte eine Sprecherin der Berliner Polizei. Zuvor hatte die »Bild«-Zeitung berichtet.
Am Nachmittag war bereits der Königsweg im Bezirk Steglitz-Zehlendorf gesperrt worden. Hinweise führten die Polizei am Nachmittag nach Zehlendorf in den Bereich des Waldfriedhofs - doch die Spur führte ins Leere. »Es fanden sich keine Hinweise oder Spuren, dass das Tier sich dort tatsächlich befunden hat«, teilte die Polizei am Nachmittag auf Twitter mit.
Damit fehlte zunächst jede Spur von dem Tier. Weder Blut noch Kot oder Pfotenabdrücke deuteten auf seine Präsenz in der Region hin. Mit einem Großaufgebot waren Polizei und Feuerwehr den ganzen Tag über im Einsatz. Mit Drohnen, Hubschraubern und Wärmebildkameras suchten sie nach dem Tier, unterstützt von Tierärzten und Jägern.
Suche auch in der Nacht
Die Polizei in Berlin und Brandenburg setzt die Suche nach dem Raubtier auch in der Nacht fort. Im Süden der Hauptstadt seien etwa 220 Polizistinnen und Polizisten in dem Bereich im Einsatz, wo es mögliche Sichtungen gab, sagte die Sprecherin der Berliner Polizei.
Beteiligt an der Suche seien Veterinärmediziner und der Stadtjäger. Es sollten Nachtsichtgeräte und eine Nachtsichtdrohne eingesetzt werden. »Wir werden so lange im Einsatz sein, bis das Tier gefunden ist«, sagte Sprecherin Ostertag. Der Einsatz konzentrierte sich auf den Bereich Zehlendorf, wo es die möglichen Sichtungen gab.
Über allem liegt die Frage: Woher kommt die Löwin?
Bürgermeister: »Ernste Lage«
Aus den Zoos, Tierparks und Zirkussen dieser Region jedenfalls nicht, wie die Polizei in der Nacht herausfand. Dort vermisste niemand eine Großkatze. Private Halter seien in Kleinmachnow nicht bekannt, sagte Bürgermeister Michael Grubert (SPD) bei einer Pressekonferenz. Er sprach von einer »ernsten Lage«.
Die private Haltung von Wildtieren ist in Deutschland Ländersache. In Berlin ist sie verboten, in Brandenburg gibt es keine spezielle Regelung neben der Bundesartenschutzverordnung. Erkenntnisse über eine illegale Haltung wurden zunächst nicht bekannt. Nach Angaben des Landesumweltamtes ist in Brandenburg die Haltung von 23 Löwen angemeldet. Dabei handle es sich um drei Zirkusunternehmen, zwei Zoos und eine private Haltung.
Die ruhige Gemeinde Kleinmachnow, die direkt an Berlin grenzt, wurde von der Suche kalt erwischt. »Wenn ich heute Morgen nicht früh angerufen worden wäre um 6.00 Uhr von einer Person der Feuerwehr, bei der ich wusste, dass die mir nicht um 6.00 Uhr eine Geschichte erzählt (...), hätte ich zuerst an einen Scherz geglaubt«, sagte Bürgermeister Michael Grubert (SPD). »Es ist halt ein etwas anderer Arbeitstag. Ich bin noch nicht zu dem gekommen, was ich wollte.«
In Kleinmachnow waren bereits in der Nacht Hubschrauber im Einsatz. Am Donnerstagmorgen wirkte in der Gemeinde laut einem dpa-Reporter alles völlig normal. Von der Suche nach einem gefährlichen Raubtier war kaum etwas zu merken. Radfahrer waren unterwegs, Spaziergänger mit Hunden, Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen. Auf Baustellen wurde gearbeitet.
Die Gemeinde versuchte, das alltägliche Leben möglichst laufen zu lassen, ohne zu große Gefahren einzugehen. So ließ Kleinmachnow die Kindergärten offen, bat aber, dass die Kinder auf dem Gelände bleiben. Der Wochenmarkt wurde verkleinert. Ein Café im Zentrum sollte die Türen geschlossen halten. Das Leben ging normal weiter, viele Leute waren auch zu Fuß oder per Rad unterwegs. Was auf die Suche nach einer Löwin hindeutete, war die Polizei, die teils präsent war.
So verhält man sich bei einer Begegnung
Ein Wildtierexperte riet den Anwohnerinnen und Anwohnern, bei einer zufälligen Begegnung mit der mutmaßlichen Löwin nicht plötzlich zu agieren. »Das Wichtigste ist, dass die Tiere das Gefühl haben, die Kontrolle über die Situation zu behalten«, sagte Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung der dpa in Berlin. Nach Einschätzung der Polizei handelt es sich bei dem gesuchten Tier wahrscheinlich um eine Löwin.
»Was vermieden werden muss, ist der Überraschungseffekt«, wenn etwa eine Löwin plötzlich mit einem Menschen konfrontiert werde. »Das ist eine Situation, wo sie einen Kontrollverlust der Situation erlebt.« Daraus könnten sich Reaktionen ergeben, weil sich das Tier gefährdet fühlt und sich deswegen eventuell verteidigen würde.
Die Warnmeldung des Bundesamts bezieht auch den Süden Berlins, etwa Steglitz, Marienfelde und Neukölln mit ein. Auch die Stadt Potsdam rief ihre Einwohnerinnen und Einwohner am Donnerstag zu Wachsamkeit auf: »Augen auf! Potsdam ist nicht weit entfernt«, teilte die Stadt auf Twitter mit.
Laut Einschätzungen von Expertinnen und Experten aus Zoo und Tierpark in Berlin käme eine Löwin in den Sommermonaten durchaus in einem heimischen Waldstück zurecht. In einem ihr unbekannten Terrain könne davon ausgegangen werden, dass sie sich ins Unterholz zurückziehe und nicht aktiv den Kontakt zum Menschen suche, teilten die Einrichtungen mit. »Auch die Gefahr, dass ein Wildtier auf freier Fläche wie beispielsweise im Wald, Park oder Feld einen Menschen direkt angreift ist geringer, als wenn es sich in einem Wohngebiet in die Enge getrieben und bedroht fühlt.«
Was geschieht mit dem Tier?
Noch ungeklärt ist das Schicksal des Tieres, sollte es gefunden werden. Eine Sprecherin des Landkreises Potsdam-Mittelmark sagte, es seien eine Tierärztin und zwei Jäger mit Waffen mit vor Ort. Wenn man das Tier finde, werde entschieden, ob man mit Betäubung arbeite oder es erschießen müsse. Kleinmachnows Bürgermeister setzte auf einfangen und wenn nötig betäuben.
Wenn ein Tier in freier Wildbahn gefangen werden sollte, werde Tele-Injektion mit einem Narkosegewehr eingesetzt, sagte May Hokan von der Umweltstiftung World Wide Fund For Nature (WWF) der dpa in Berlin. Das könnten am besten etwa Zootierärzte, die mit solchen Situationen auch unter Stress gut umgehen könnten.
Die Tierärztin schilderte mögliche Probleme: »Wenn man so einen Löwen trifft, fällt der nicht direkt um und schläft ein. Es gibt eine Stressphase, er hat diesen Pfeil im Hintern, wird erst mal losrennen und Radau machen.« Dies dauere einige Minuten, auch abhängig von der Art des Narkosemittels. »Wir haben dann eine schwierige Phase, bevor das Tier einschläft und man sich dem Tier nähern kann.«
Theoretisch denkbar wäre auch ein Abschuss. »Je nachdem wie die Situation wahrscheinlich von Tierarzt und Polizei eingeschätzt wird, wird das Tier in solchen Situationen auch erschossen. Dabei muss natürlich die Sicherheit gegeben sein, dass da keine Menschen in der Nähe sind. Das ist auch nicht so einfach«, sagte May.
Wirklich eine Löwin?
Aus Sicht des Veterinärmediziners Achim Gruber von der Freien Universität Berlin bleiben jedoch ohnehin Zweifel, ob es sich bei dem gesuchten Raubtier um eine Löwin handelt. »Ich halte es für möglich, dass das eine Löwin ist, bin aber nicht davon überzeugt«, sagte Gruber im RBB-Spezial.
Als Wissenschaftler sei er vorsichtig. Es gebe viele Argumente dafür, dass es eine Löwin sei. »Aber der letzte Beweis steht für mich noch aus«, so Gruber.
Die Handy-Aufnahme sei unscharf und durch das Licht könnten Täuschungen entstehen. Er setze auf die Jagdhunde, die nach dem Tier suchten. Die Hunde, die im Einsatz seien, seien sehr gut. Wenn diese keine Spuren fänden, sei dies »ein starkes Puzzlestück« gegen die Hypothese, dass man es mit einer Löwin zu tun habe.
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