HEILBRONN/REUTLINGEN. Das Handy ist in unserem Alltag fast immer dabei, wir sind überall und ständig erreichbar. Doch ist es in Ordnung, überall zu telefonieren? Wir haben mit der Knigge-Expertin Carolin Lüdemann gesprochen. Sie coacht Firmen in Sachen Benimmregeln und weiß: Auch beim Thema Telefonieren in der Öffentlichkeit gibt es Fallstricke, man sollte daher über geltende Etikette-Regeln Bescheid wissen.
Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Eine Person wird an der Metzgertheke oder beim Bäcker bedient, hat gleichzeitig aber das Handy am Ohr und spricht. Was sagen Sie als Knigge-Expertin dazu?
Lüdemann: Offen gestanden habe ich meine Zweifel, ob man damit beiden Gesprächspartnern gerecht wird. Man ist nur halb beim Telefongespräch und nur halb beim Einkaufen präsent. Und noch dazu gibt es womöglich andere Kunden im Laden, die dadurch zu unfreiwilligen Zuhörern werden. Auch kostet der Einkauf wahrscheinlich mehr Zeit und zieht somit alle Anwesenden in Mitleidenschaft. Kurzum: Entweder das eine oder das andere. Ich meine, man sollte sich überlegen, was Priorität hat und erst telefonieren und dann einkaufen - oder eben umgekehrt.
»Die Handy-Etikette fängt schon vor dem Telefonieren an«
Welche Benimm-Regeln gelten für das Telefonieren im öffentlichen Raum?
Lüdemann: Die Handy-Etikette fängt schon vor dem Telefonieren an: Den Klingelton nicht auf maximale Lautstärke stellen, sondern möglichst unaufdringlich halten. Denn: Ein Gespräch ist privater Natur und sollte es auch bleiben. Daher versucht man, möglichst leise zu sprechen beziehungsweise eine Umgebung zu finden, in der man Umstehende nicht mitunterhält. Auch finde ich es prima, wenn man seinen Gesprächspartner darauf hinweist, dass man in der Öffentlichkeit telefoniert. Manches Mal drückt man sich, gerade bei geschäftlichen Telefonaten, etwas abstrakter aus um für andere keine Rückschlüsse aus den Gesprächen zuzulassen. Es gibt auch Umgebungen, in denen telefoniert man schlicht und ergreifend gar nicht: im Wartezimmer beim Arzt, im Restaurant. Einfach immer da, wo sich andere Anwesende dem nicht entziehen und gestört fühlen könnten. Was für mich auch in No-Go ist: Anrufer wegzudrücken. Es sollte doch so viel Zeit sein, kurz ans Telefon zu gehen und sagen, dass man im Moment verhindert ist.
Eine Person telefoniert nun aber doch sehr laut im Zug, man wird unfreiwillig zum Zuhörer, fühlt sich gestört und ist vielleicht sogar genervt. Darf man diese Person auf ihr Fehlverhalten hinweisen?
Lüdemann: Wenn wir den Knigge dazu befragen, dann sagt der etwas sehr Nachvollziehbares dazu: Wenn der andere sich nicht an die Etikette-Regeln hält, dann weisen wir ihn nicht darauf hin, weil wir ihn damit in eine unangenehme Situation bringen würden. Und zwar, weil dieser dann realisieren müsste, dass er etwas falsch gemacht hat. Meiner Meinung nach geht diese Sichtweise aber nicht immer auf, denn es gibt einen Unterschied, ob jemand aus Versehen ein Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, oder eben nicht. Denn wenn ich an Situationen denke, wie Vordrängeln an der Supermarkt-Kasse, oder eben lautstarkes Telefonieren in der Öffentlichkeit, dann müsste man wissen, dass man das nicht macht. Und in diesem Fall finde ich, darf man auch etwas sagen.
»Ein Gespräch ist privater Natur und sollte es auch bleiben«
Und wie mache ich das am besten?
Lüdemann: Ich empfehle, den Hinweis in Ich-Botschaften zu formulieren. Also zum Beispiel: »Entschuldigen Sie, ich müsste dringend noch etwas fertig machen, etwas arbeiten, wäre es Ihnen möglich, woanders zu telefonieren, oder etwas leiser«, oder so ähnlich. Wichtig ist, dass ich erst einmal meine Situation erkläre, dass das Verhalten der Person gerade für mich schwierig ist. Und ich ein Bedürfnis habe, dass der andere berücksichtigen könnte. Wenn ich die Person hingegen sofort angreife und sage, »Sie telefonieren zu laut, Sie stören hier alle Leute«, dann führt das eher zu einer Verteidigungshaltung oder sogar zu einem Streitgespräch. Und das ist ja nicht das, was wir erreichen wollen.
Jüngere Menschen scheinen beim Thema Handy-Nutzung in der Öffentlichkeit deutlich gelassener zu sein als ältere. Gibt es hier einen Generationenkonflikt?
Lüdemann: Ich möchte hier nicht pauschalisieren. Sicher gibt es auch ältere Menschen, die sich nicht an die Regeln halten und jüngere, die sie befolgen. Vermutlich kann man aber schon festhalten, dass die jüngeren Generationen eine engere Bindung zu ihren Smartphones haben und es schwerfällt, das Smartphone nicht ständig im Blick zu haben um nichts zu verpassen. Auf der anderen Seite telefonieren jüngere Menschen viel weniger - sie müssten uns daher auch seltener negativ auffallen, wenn es um die Frage des Telefonierens im öffentlichen Raum geht.
»Umgangsformen sind gesellschaftlicher Kit«
Sind gute Manieren aus der Mode gekommen?
Lüdemann: Das hoffe ich nicht. Ohne gute Manieren bleiben nach wie vor Türen verschlossen, insbesondere im beruflichen Kontext. Ich meine allerdings schon, eine gesellschaftliche Entwicklung wahrzunehmen, in der der Einzelne und seine Bedürfnisse sehr stark im Mittelpunkt stehen. Nach dem Motto: ich bin wie ich bin und verhalte mich, wie ich möchte - und die anderen müssen damit eben klar kommen. Ein bisschen mehr Sensibilität und Fingerspitzengefühl, wie sich das dann auf das Umfeld auswirkt, sollten wir uns bewahren. Umgangsformen sind gesellschaftlicher Kit. Das darf nicht verloren gehen. (GEA)