LONDON. Die Königin ist tot, es lebe der König! Dieser Spruch trifft auch auf die britische Monarchie zu, denn auf dem Thron darf es keine Vakanz geben. Der einst als »ewiger Thronfolger« belächelte Charles ist nach dem Tod seiner Mutter Elizabeth II. mit 73 Jahren König geworden. Niemand hat so lange auf den Thron gewartet wie er.
In Umfragen hieß es früher, die Briten hätten es lieber, wenn Charles seinem Sohn William den Thron überließe. Doch ernsthaft war das nie eine Option und die Stimmung änderte sich. Auch im Selbstverständnis der Royals kommt das nicht vor. Die Briten werden künftig »God Save The King« singen. Welchen Thronnamen Charles führen wird, war zunächst unklar. Er wäre bereits der dritte Charles auf dem britischen Thron, könnte sich aber auch für einen seiner anderen Vornamen entscheiden.
Dass seine Frau Camilla Königin (Queen Consort) wird, hatte die Queen erst zu Beginn dieses Jahres als ihren ausdrücklichen Wunsch festgelegt. Es ist ein Titel, den zuletzt die Mutter Elizabeths, die vor 20 Jahren gestorbene Queen Mum, getragen hatte.
Neuntägige Trauerfeierlichkeiten
Die erste Aufgabe des neuen Königs ist es, die neuntägigen Trauerfeierlichkeiten für seine Mutter zu leiten. Einem Bericht des »Guardian« zufolge wird er nach seiner Proklamation zunächst auf eine Tour durch die vier Landesteile des Vereinigten Königreichs - England, Schottland, Wales und Nordirland - aufbrechen, bevor er nach London zurückkehrt.
Es ist nicht viel darüber bekannt, wie Charles sein Amt ausüben wird. Spekuliert wird, dass er sich mehr in politische Dinge einmischen will - obwohl das in der britischen Monarchie nicht vorgesehen ist. Das Thema Klimawandel liegt ihm jedenfalls sehr am Herzen. Auch eine Modernisierung des Königshauses dürfte auf seiner Agenda stehen. Er wolle den Kreis der aktiven Mitglieder verkleinern, hieß es in Medienberichten. Auch über einen Verzicht auf den Buckingham-Palast als ständige Residenz wurde spekuliert.
Wird er das Gewissen der Nation? Ein Biobauer, der immer wieder seine Meinung zu politischen Themen zum Besten gibt? Aus seinem Umfeld hieß es einmal, Charles empfinde die Aussicht auf den Thron als »Gefängnis«. Er wollte sein Leben nicht mit Ordensverleihungen vertrödeln, sondern Probleme angehen.
»Solange ich denken kann, habe ich dieses außergewöhnliche Gefühl, heilen und die Dinge verbessern zu wollen«, sagte er einmal. Charles schreckte im Gegensatz zu Königin Elizabeth II. nie davor zurück, Position zu beziehen. Er kämpfte gegen den Klimawandel, stoppte umstrittene Bauvorhaben und half armen Jugendlichen.
In Notizen - wegen seiner krakeligen Handschrift auch Schwarze-Spinnen-Memos genannt - versuchte der Thronfolger, Regierungsmitglieder zu beeinflussen und brockte sich damit Ärger ein. Als König, so fürchteten Beobachter früher, hätte er mit seinen Standpunkten und Einflussnahmen sogar die Nation spalten können. Beim Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in London blieb er dem Bankett im Buckingham-Palast demonstrativ fern. Das wurde als Protest gegen die Menschenrechtsverstöße in dem Land gedeutet.
Die Sache mit Diana, Königin der Herzen
Besonders übel nahmen ihm die Briten, wie er mit seiner ersten Ehefrau Diana umging, der Königin der Herzen. Schon kurz nach der Verlobung sorgte die Antwort des Paares, auf die Frage, ob es verliebt sei, für Stirnrunzeln: Sie platzte mit einem »Ja, natürlich!« heraus, er sagte: »Was auch immer Verliebtsein heißen mag.«
Nach der Hochzeit betrog er die makellos schöne Diana mit seiner Jugendliebe Camilla Parker Bowles, die von einigen britischen Medien als Rottweiler verspottet wurde. Ein Rosenkrieg begann. Als auf Tonbandmitschnitten zu hören war, dass Charles als Tampon Camillas wiedergeboren werden wollte, war für viele Briten Charles als künftiger König undenkbar.
1996 ließ das Paar sich scheiden. Nur ein Jahr später starb Diana bei einem Autounfall in Paris. 2005 heiratete Charles Camilla. Die beiden verschafften sich - ganz langsam, aber stetig - durch seriöses Auftreten und viel Fleiß wieder Respekt. Der Thronfolger vertrat seine Mutter bei unzähligen Terminen, reiste als Botschafter durch Europa, um die vom Brexit verstörten europäischen Partner zu besänftigen und war volksnäher als je zuvor. Privat geht das Paar wandern und fischen, abseits der Glitzerwelt.
Charles' Ruf als verwöhnter Eigenbrötler, der mit Blumen spricht, ist er nie ganz losgeworden. Traumanalysen, spirituell geprägte Erlebnisse in der Kalahari-Wüste, seine Beschäftigung mit dem islamischen Sufismus - das mag etwas suspekt klingen.
Charles beschrieben als »hoffnungslos dünnhäutig«
Sally Bedell Smith beschreibt ihn in ihrer Biografie als »hoffnungslos dünnhäutig« und intolerant gegenüber abweichenden Meinungen, aber auch als Freigeist mit außerordentlichem Sinn für Ästhetik. Die US-Journalistin Catherine Mayer zeichnet in ihrem Buch das Bild eines Top-Unternehmers, der auch viel Neid und Missgunst säte. Kurzum: Er ist eine ambivalente Persönlichkeit.
Die Ursachen vermutet sein Umfeld auch in seinem eher schwierigen Verhältnis zu den Eltern und in seiner Erziehung. Seine Mutter habe kaum Zeit für ihn und seine drei Geschwister gehabt, beklagte sich Prinz Charles. Oft kränkelnd, nicht gerade sportlich und Angst vor Pferden - die Queen soll ihren Ältesten für einen Spätzünder gehalten haben. Mit dem Alter lernten sie sich aber schätzen.
2017 spekulierte der BBC-Spielfilm »King Charles III«, was passieren könnte, wenn die Queen stirbt. Der Inhalt wirkte skurril: Der neue König weigert sich, ein Gesetz zur Einschränkung der Pressefreiheit zu unterschreiben. Das löst eine Verfassungskrise und landesweite Proteste aus. Daraufhin beordert der Film-Charles einen Panzer vor den Buckingham-Palast. Soweit die Fantasie im Fernsehen.
Charles hatte viel Zeit, über seine Rolle nachzudenken. Er ist seit dem 6. Februar 1952 Thronfolger. Er war drei Jahre alt, als seine Mutter Königin wurde und eine Ära begann. Um angemessen in ihre Fußstapfen zu treten, fehlt es dem greisen Monarchen allein schon an Lebenszeit. (dpa)