REUTLINGEN/KÖLN. Bryan Johnson hat eine Mission: Er will den Tod besiegen. Das Ziel ist die Unsterblichkeit. Sein 47 Jahre alter Körper soll wieder 18 werden – und es immer bleiben. Dafür beschäftigt er 30 Gesundheitsexperten und schluckt 111 Pillen, isst die letzte Mahlzeit um 11 Uhr und geht zu Bett um 20.30 Uhr. Nachts misst ein Sensor am Penis die Erektionen.
Die Verjüngungskur kostet zwei Millionen Dollar pro Jahr. Da hilft es, dass Johnson Geld hat. Bevor der Amerikaner Anti-Aging-Pionier wurde, war er Tech-Millionär. Damals sah er aus wie ein typischer Silicon-Valley-Gründer: überarbeitet, übermüdet, übergewichtig. Das hat sich geändert – und zwar zum Positiven, wie Johnson findet. Nackt präsentiert er der Welt seinen muskulösen Körper, nur eine Hantel im Schritt.
Johnsons Selbstversuch macht ihn zum Außenseiter, unter Wissenschaftlern gilt er als Freak, kein seriöser Altersforscher arbeitet an der Unsterblichkeit. Trotzdem wirft Johnsons extreme Selbstoptimierung ein Schlaglicht auf den beachtlichen Fortschritt von Technik und Wissenschaft: Ausgerüstet mit künstlicher Intelligenz und Supercomputern haben unterschiedliche Disziplinen von Medizin über Onkologie bis Neurologie in den letzten Jahren die Grundlagen des Alterns entschlüsselt. Sie verstehen allmählich, welche zellulären und molekularen Prozesse beteiligt sind, wie dieselben Mechanismen Krankheiten wie Herzinfarkt, Krebs und Alzheimer befeuern – und wie sie sich bremsen lassen. Zwar nicht mit dem Ziel der ewigen Jugend, aber zugunsten eines langen und gesunden Lebens.
100 Jahre könnten Standard werden
Das Ergebnis überzeugt: Die Lebenserwartung von Menschen in Industrieländern hat sich in den letzten 120 Jahren verdoppelt. In Deutschland haben Frauen laut Statistischem Bundesamt derzeit Aussicht auf 83 Jahre, Männer auf 78 Jahre. Mit weiteren Zuwächsen in nächster Zeit wird gerechnet. Je nachdem, wen man fragt, werden 90, 100 oder sogar 110 Jahre als das neue Normal genannt. Vorausgesetzt, man weiß, an welchen Stellschrauben man drehen muss.
Diese Stellschrauben suchen viele, die Forschung zur Langlebigkeit boomt. Weltweit werden Start-ups, Hochschul-Abteilungen und Wissenschafts-Einrichtungen gegründet. In Deutschland ist eine der besten Adressen das Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns mit Sitz in Köln. Dort begreift man Altern als »fortschreitenden Verlust von körperlicher Unversehrtheit und Funktionstüchtigkeit«. »Es treten immer mehr Fehler auf und der Körper repariert sie immer weniger«, heißt es auf der Instituts-Homepage. Betroffene beklagen graue Haare, schlechte Augen, schmerzende Gelenke. Forscher kennen für diese und andere Beschwerden inzwischen die Ursachen – und zwar bis runter auf die Ebene der Zellen und Moleküle.
12 Kennzeichen des Alterns
Für Aufsehen sorgte zuletzt eine Studie mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts. Sie erschien im Jahr 2023 unter dem Titel »Hallmarks of Aging« in der Fachzeitschrift »CellPress« und zählt zwölf Kennzeichen des Alterns auf: Das Genom wird instabil und das Erbgut beschädigt. Die Telomere, Schutzkappen der Chromosomen, werden mit jeder Zellteilung kürzer. Mit der Folge, dass die Zellen sich irgendwann nicht mehr teilen und sterben oder Entzündungen auslösen. Das Epigenom – es regelt, welche Erbinformationen wie aktiviert werden – verändert sich im Alter.
Die Zellen bauen Proteine nicht mehr richtig auf und ab, defekte Proteine häufen sich. Der Körper nimmt vorhandene Nährstoffe falsch wahr und entsorgt beschädigte Zellteile nicht. Die Mitochondrien versorgen die Zellen nicht mehr ausreichend mit Energie. Die Stammzellen entwickeln sich nicht mehr korrekt zu verschiedenen Zellarten und ersetzen zerstörtes Gewebe ungenügend. Bei der Kommunikation zwischen Zellen treten Fehler auf. Die Immunabwehr wird schwächer, Entzündungen werden chronisch. Im Darm gibt es mehr schädliche Mikroorganismen als nützliche.
Anti-Aging-Mittel: Nutzen und Nachteil
Zu vielen der zwölf Problemzonen des menschlichen Körpers hat das Max-Planck-Institut Forschungsgruppen eingerichtet. Eine davon leitet Hannah Scheiblich. »Wer die schädlichen Prozesse versteht, der kann gegensteuern«, erklärt die Wissenschaftlerin. »Er kann eventuell die Alterung verlangsamen und die Gesundheit verbessern.«
Womöglich mit Anti-Aging-Mitteln. Die Anbieter versprechen viel, doch Scheiblich ist zurückhaltend. Sie untersucht den Zusammenhang von Hirnalterung, Entzündung und Demenz. An dieser Schnittstelle setzen Senolytika an. Die Präparate lösen den Tod von seneszenten Zellen aus. Das sind gealterte Zellen, die Entzündungen hervorrufen und Krankheiten vorantreiben können, neben Demenz auch Parkinson. »Die Mittel zeigen bei Mäusen Erfolge«, berichtet Scheiblich. »Die Übertragung der Ergebnisse auf Menschen ist aber noch unklar.«
Als Anti-Aging-Kandidat gehandelt wird auch Rapamycin. Der Wirkstoff hemmt den mTOR-Signalweg. Das ist die zentrale Schaltstelle des Stoffwechsels in der Zelle. Dem Körper wird Nährstoffmangel vorgetäuscht. Weil er scheinbar keine Energie von außen bekommt, recycelt er defekte Zellteile. Die erhoffte Verjüngung tritt tatsächlich ein – allerdings vorerst nur bei Tieren, etwa Taufliegen. »Rapamycin ist in Deutschland sogar bereits zugelassen«, erzählt Scheiblich. »Allerdings nicht zur Lebensverlängerung, sondern bei der Transplantation.« Dort soll es die Abstoßung des fremden Organs verhindern. »Dafür wird das Immunsystem unterdrückt«, erklärt Scheiblich. »Und der Patient wird möglicherweise anfälliger für Infektionen.«
Aussichtsreich erscheint Metformin. Das Präparat wird in Deutschland zur Behandlung von Diabetes eingesetzt. Es senkt die Produktion von Zucker und erhöht die Empfindlichkeit für Insulin. »Mäuse verjüngt Metformin bereits – ohne schwere Nebenwirkungen«, erklärt Scheiblich. »Jetzt wird es als Mittel gegen Altern in einer großen Studie der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde an Menschen getestet.«
Einen großen Markt haben Antioxidantien wie Vitamin C, Vitamin E und Betacarotin. Die Substanzen sollen angeblich freie Radikale binden, die beim Stoffwechsel entstehen und Zellen beschädigen. Kritiker warnen jedoch, dass wissenschaftliche Belege fehlen.
Gene bestimmen Lebenserwartung nur zu 15 Prozent
Die Pille gegen den Tod gibt es also noch nicht. Scheiblichs Bilanz fällt durchwachsen aus: »Kein Mittel ist in Deutschland zum Zweck der Lebensverlängerung zugelassen. Die meisten werden noch an Tieren erprobt, die wenigsten sind schon an Menschen ausreichend untersucht.« Sogar wenn ein Präparat in Zukunft alle Tests besteht, dann garantiert es nicht ewige Jugend. Der Grund ist einfach: »Der menschliche Körper ist ein komplexes System. Alles ist miteinander verknüpft«, erklärt Scheiblich. »Anders die Präparate: Sie greifen nur in einzelne Prozesse ein, nicht in das Ganze.«
Darum empfiehlt Scheiblich keine Pillen, Pasten und Pulver. »Das beste Mittel, um lange fit zu bleiben, ist ein gesunder Lebensstil«, betont sie. Zahlreiche wissenschaftliche Studien geben ihr Recht: Gene bestimmen die Lebenserwartung zu 10 bis 15 Prozent, Umwelteinflüsse und Lebensweise zu 85 bis 90 Prozent.
Acht Gewohnheiten steigern Lebenserwartung um 20 Jahre
Die Anstrengung lohnt sich: Acht Gewohnheiten steigern die Lebenserwartung um mehr als 20 Jahre. Zu diesem Ergebnis kam ein Team um Xuan-Mai Nguyen von der Universität Illinois. Untersucht wurden 700.000 US-Veteranen über neun Jahre lang. Der Aufsatz erschien 2024 im Fachmagazin »The American Journal of Clinical Nutrition«. Nguyens Rezept für ein langes, vitales Leben lautet: gesund essen, wenig Alkohol, Tabak und Opioid-Schmerzmittel konsumieren, viel bewegen, Stress abbauen, genug schlafen und soziale Kontakte pflegen. »Je früher man damit anfängt, desto besser«, rät Scheiblich. »Aber es ist nie zu spät.«
Bryan Johnson konvertierte erst mit 44 Jahren vom Fast-Food-Junkie zum Fitness-Extremisten. Dann aber mit vollem Einsatz: Seinen Auftrag begreift er als »biologische Revolution«, sein Leben als »Experiment«, sich selbst als »Versuchskaninchen«. Scheiblich findet das übertrieben. »Keiner muss seinen Alltag komplett umkrempeln«, beruhigt die Max-Planck-Forscherin. »Auch kleine Veränderungen können große Verbesserungen bewirken. Man muss sie sich nur zur Gewohnheit machen.« (GEA)
7 Tipps für ein langes, gesundes Leben
Ein langes, gesundes Leben hängt maßgeblich vom Lebensstil ab. Hier die wichtigsten Experten-Tipps:
Mediterrane Küche: Die Mittelmeer-Diät gilt als besonders ausgewogen. Sie beinhaltet viel Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte und Olivenöl, in Maßen Fisch und Nüsse, wenig Fleisch, Eier, Milchprodukte und Süßigkeiten. Diese Ernährung verjüngt die Darmflora und stärkt die Immunabwehr. Außerdem sorgen diese Lebensmittel für längere Telomere. Werden sie zu kurz, teilen die Zellen sich nicht mehr und verursachen Entzündungen. Auf hochverarbeitete Nahrung mit viel Fett, Zucker und Salz sollte verzichtet werden.
Kalorien: Übergewicht erhöht das Risiko für viele Krankheiten von Diabetes bis Krebs. Bauchfett fördert chronische Entzündungen. Davor schützt eine kalorienarme, nährstoffreiche Ernährung. Experten raten, sich nicht ganz satt zu essen, sondern kurz vorher aufzuhören.
Fasten: Wird die Kalorienzufuhr reduziert, greift der Körper auf eigene Reserven zurück. Dann recyceln die Zellen defekte Bestandteile und verwerten sie weiter als Baumaterial für frische Zellen oder als Brennstoff für Energie. Bei der Autophagie (Selbstverzehr) reinigen und erneuern sich die Zellen also selbst. Das beugt Krebs, Alzheimer und Parkinson vor. Gesunden Menschen wird Intervallfasten empfohlen. Bei der 16:8-Methode werden alle Mahlzeiten in acht Stunden verzehrt, etwa von 10 bis 18 Uhr.
Alkohol und Tabak: Alkohol ist ein Zellgift, das die Leber und das Gehirn schädigt, Krebs und Bluthochdruck begünstigt. Auch Tabak erhöht das Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Darum sollte beides höchstens in Maßen genossen werden.
Sport: Bewegung verbraucht Energie und stößt das Zell-Recycling an. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt mindestens 150 Minuten moderates Training oder 75 Minuten intensives Training pro Woche.
Stress: Chronischer Stresskann zu Bluthochdruck und Diabetes, Burnout und Depression führen. Darum ist es wichtig, Erholungspausen einzubauen..Schlaf: Erwachsene sollten nachts sieben bis neun Stunden schlafen. Dann repariert der Körper Schäden, wehrt Krankheiten ab und speichert Informationen im Gedächtnis.
Soziale Kontakte: Beziehungen halten geistig und körperlich fit und vermindern das Risiko einer Depression. (mis)