Da hat einer Nachholbedarf. Er hopst im Rhythmus seiner Musik, reckt die Arme in die Höhe. Herbert Grönemeyer rast über die Bühne, tanzt auf die ihm eigene Art, ein breites Grinsen im Gesicht. Nach Jahren der Abstinenz genießt der Musiker die Ovationen seines Publikums sichtlich, saugt die Stimmung am Dienstagabend in Kiel in sich auf. »Wir geben alles«, ruft der 67-Jährige in die Menge. Vor 9000 Fans in der ausverkauften Wunderino Arena hat Grönemeyer einen umjubelten Auftakt seiner ersten Tour seit vier Jahren gefeiert.
Mit einem musikalisch mitreißenden Konzert legen der Musiker und seine Band einen überaus gelungenen Tourstart hin. Grönemeyers Repertoire auf der »Das ist los Tour 2023« reicht von leisen Tönen und klassischen Pop bis zur Tanzmusik. Erst nach 2 Stunden und 45 Minuten lassen ihn die Zuschauer in Kiel endgültig von der Bühne - drei wundervoll temperierte Zugaben haben Grönemeyer und Band da bereits gegeben.
»Zieht leichtes Tanzschuhwerk an«
Eigentlich wollte der Musiker bereits 2022 erstmals nach langen Pandemie-Jahren wieder durch Deutschlands große Hallen und Stadion touren. Doch daraus wurde nichts. Vor knapp einem Jahr musste Grönemeyer seine Jubiläumstournee »20 Jahre Mensch« wegen einer Corona-Infektion absagen. Nun also wieder Kiel - wo er bereits seine vorherige Tournee 2019 startete. »Zieht leichtes Tanzschuhwerk an und bringt Eure beste Laune mit«, ist wenige Stunden vor Konzertbeginn auf der Facebook-Seite des Musikers zu lesen.
Die Fans empfangen Grönemeyer mit offenen Armen. Der startet mit der schönen Klavierballade »Tau« über Glück und Zweisamkeit, um gleich danach mächtig weiterzumachen mit dem poppigen Titelsong »Das ist los« des neuen Albums. Grönemeyers 17. Studioalbum ist Ende März erschienen. Viele der 13 Songs geben »Herbie« und seine acht Begleiter zum Besten. Bei »Herzhaft« gelingt es dem Musiker, Tausende Fans im Norden zum Schunkeln zu bringen. Die neue Platte kommt beim Publikum an. »Ich denke, wir haben Chancen«, sagt Grönemeyer.
Ernste Töne und Gassenhauer
»Und immer wieder Neuanfang, die Welt dreht sich im Schleudergang«, singt der Musiker. Nach Jahren der Isolation in Pandemie-Zeiten, Krieg und großer Unsicherheit sucht der Sänger in »Deine Hand« nach »Perspektiven, die uns weiterbringen«. Und richtet den Blick nach vorn: »Orbán, Le Pen, Rasputin - Wer ist die nächste Killer-Queen?« Kunst wie etwa Musik sei »schon auch dafür da, Ängste ernst zu nehmen und gleichzeitig aber auch eine Perspektive zu formulieren«, hat Grönemeyer zur Veröffentlichung seines neuen Albums erklärt.
»Los jetzt!«, ruft Grönemeyer zwischen seinen Liedern. Und manchmal wird er auf der Bühne auch kurz politisch. In der Geschichte habe jeder Protest letztlich zu etwas geführt. »Nur manchmal dauert es etwas länger.« Um Flucht und Migration geht es in »Der Schlüssel«. In der schönen Tanznummer »Angstfrei« singt Grönemeyer »Freiheit, Neuzeit. Vor allem angstfrei - In der Unruhe liegt die Kraft«.
Aber auch die bewährten Gassenhauer fehlen nicht. »Männer«, »Bochum«, »Musik nur, wenn sie laut ist« oder »Vollmond« bringen die Arena zum Kochen. »Mensch« darf nicht fehlen. Das Trauerlied »Der Weg« bewegt die Zuschauer noch immer.
Kurz vor 23.00 Uhr erklingen dann die letzten Töne von »Immerfort«. »Ihr wart grandios, grandios«, verabschiedet sich Grönemeyer. Das gilt an diesem Abend für ihn selbst ebenso. Der Musiker zeigt zum Start seiner neuen Tour Spielfreude pur.
Mehrere Konzerte seiner Tournee sind nach Angaben der Veranstalter bereits ausverkauft. Geplant sind bis 9. Juni weitere zehn Konzerte in Hallen und fünf Open-Air-Auftritte. Geplant sind auch Auftritte in Wien und Zürich. Die nächsten Konzerte sind am Donnerstag (18. Mai) in Hamburg und am Freitag (19. Mai) in Dortmund. Tournee-Finale ist am 9. Juni in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen.
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